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„Kommen Sie nach Kopenhagen, hier scheint die Sonne“, sagt Thomas Søndergård, als ich ihn erreiche. Nicht selten sind
Telefoninterviews unangenehm. Es fehlt die persönliche Ebene, der Blickkontakt, die Gestik, all das, was ein lebhaftes Gespräch ausmacht. Das Gespräch mit dem sympathischen Dirigenten hingegen macht Freude. Søndergård ist gut gelaunt, nimmt sich viel Zeit für jede Antwort und schwärmt von Neuer Musik wie von einer neuen Liebe.

Herr Søndergård, welches Musikstück haben Sie als Letztes gehört? Nicht als Vorbereitung für ein Konzert, sondern in Ihrer Freizeit?

- Es war die Oper Parsifal.

Nicht gerade ein kurzweiliges Stück für den Feierabend ...

- Das stimmt. Man muss in einer sehr besonderen Stimmung sein, um diese lange Oper wirklich genießen zu können. Für mich ist Parsifal aber mit ganz besonderen Erinnerungen verbunden: Ich selbst habe als Musiker einmal im Parsifal mitgewirkt und war so vertieft in den zweiten Satz, so fasziniert von der Musik, dass ich fast vergessen habe zu spielen.

Die Oper – auch die zeitgenössische – gehört nicht eben zu den Lieblingsgenres von jungen Leuten. Selbst diejenigen, die sich sehr für klassische Musik interessieren, machen um Opernhäuser häufig einen großen Bogen. Können Sie diese Abneigung verstehen?

- Ja, ich kann nachvollziehen, dass viele junge Leute mit Opern oft nicht viel anfangen können. Dabei bin ich mir sicher, dass Kinder und Jugendliche ein Stück wie beispielsweise Thomas Adès’ The Tempest lieben würden. Vielleicht sollte man ihnen sagen: „Hey, diese Musik ist so emotional, sie ist neu, und für den Komponisten gibt es keine strengen Regeln mehr, nichts ist verboten!“ Ich bin sicher, dass viele junge Leute sich davon angezogen fühlen.

Im Jahr 2005 haben Sie die Uraufführung von Poul Ruders’ Oper Kafka’s Trial dirigiert und sich so schon zu Beginn Ihrer Karriere als Anwalt Neuer Musik positioniert. Warum begeistert Sie Neue Musik?

- Ich will ein Teil vom Hier und Jetzt sein. Was heute komponiert wird, hat mit mir zu tun, mit meinem Leben, mit allem, was mich beschäftigt. Mir ist es sehr wichtig, mit den Komponisten zusammenzuarbeiten, mit ihnen Ideen zu entwickeln, eine neue Tonsprache zu finden. Es ist genau das, was auch die Junge Deutsche Philharmonie macht: Die jungen Musiker hinterfragen mit ihrem Programm das Bild, das wir heute von klassischer Musik haben.

Müssen wir dieses Bild denn ändern? Das Standard-Repertoire aus dem Konzertsaal verbannen und uns nur noch der zeitgenössischen Musik widmen?

- Nein, auf keinen Fall. Es ist sehr wichtig, sich mit älterer Musik auseinanderzusetzen. Diese Musik macht die Tradition unserer Kultur aus, und es gibt viele wundervolle Stücke, besonders aus der Zeit um 1900. Allerdings kann ich mir nicht vorstellen, nur Werke von Komponisten zu dirigieren, die lange Zeit vor mir gelebt haben. Wenn ich zu viele Standard-Stücke dirigiere, dann fehlt mir etwas. Ich habe das Gefühl, nichts Eigenes zu gestalten, mich zu sehr an alten Aufnahmen zu orientieren. Ich möchte zusammen mit den Musikern selbst Kunst schaffen, einen neuen Klang finden.

Werden Sie diese Gelegenheit auch mit Jörg Widmans Zweitem Labyrinth haben? Schließlich ist Widman alles andere als ein Unbekannter ...

- Ich bin extrem gespannt auf die Arbeit mit Widmans Stück. Als ich sein Zweites Labyrinth zum ersten Mal vor mir liegen hatte, dachte ich: Dafür brauchen wir sehr, sehr viel Zeit. Das Schöne daran ist aber, dass mir niemand sagt, wie ich dieses Stück zu interpretieren habe. Ich kann meine eigene Idee entwickeln.

Wie vermitteln Sie den Musikern Ihre Idee?

- Ich versuche, während der Probenpausen so viel wie möglich mit dem Orchester über das Stück zu sprechen, ihnen meine Eindrücke zu schildern. So können wir gemeinsam an der Interpretation arbeiten.

Was ist schwieriger: Eine Uraufführung von Neuer Musik zu dirigieren und Musiker und Publikum mit etwas Neuem zu konfrontieren oder aus Althergebrachtem, sagen wir, einer Beethoven-Sinfonie, etwas Neues herauszukitzeln?

- Ich glaube, es ist beides gleich schwierig. Kürzlich habe ich Beethovens Fünfte dirigiert. Das hat mich ziemlich beschäftigt, vielleicht sogar belastet, weil dieses Stück voller Tradition steckt. Es ist sehr schwierig, ihm neue Energie zu geben und diese Energie vom Pult ins Podium zu transportieren, weil es schon so viele unfassbar gute Aufführungen gab. Auf solch ein Stück muss ich mich sehr lange vorbereiten. Selbst wenn man die Sinfonie schon 50 Mal dirigiert hat, darf man nie aufhören, sie neu entdecken zu wollen. Bei der Neuen Musik ist die Herausforderung eine andere: Bevor das Orchester das Publikum mit der Musik berühren kann, müssen wir als Dirigenten und Musiker von einem Stück überzeugt sein. Denn wenn wir nicht überzeugt sind, können wir das Publikum niemals begeistern.

Bei der (W)IRRUNGEN-Tournee steht mit Tschaikowskis Vierter ein vor Tradition triefendes, wuchtiges Werk neben Jörg Widmans Zweitem Labyrinth und Szymanowskis Konzert-Ouvertüre E-Dur op. 12. Werden Sie es schaffen, sowohl die Fans der großen romantischen Sinfonie als auch die Anhänger Neuer Musik mitzunehmen?

- Ich hoffe sehr, dass uns dies gelingt. Ein junges Orchester ist perfekt für so ein kontrastreiches Programm. Die Musiker der Jungen Deutschen Philharmonie sind sehr neugierig. Sie stehen an einem besonderen Punkt ihrer musikalischen Laufbahn und fragen sich, wie diese Welt aussieht, die sie gerade betreten. Tschaikowski gehört dabei genauso zu ihrem musikalischen Erwachsenwerden wie Widman. Szymanowskis Konzert-Ouvertüre greift dieses Gefühl auf: Sie ist voll von jugendlicher Energie und Hoffnung, voller Leidenschaft. Die jungen Musiker kennen das gut: Die meisten Orchestermitglieder kennen sich seit Jahren, haben gemeinsam viele Konzerte gespielt, das schweißt zusammen.

Sie sprechen aus Erfahrung: Als Paukist haben Sie im Jugendorchester der Europäischen Union mitgespielt. Was ist das Besondere an einem Klangkörper, der ausschließlich aus jungen Leuten besteht, die an der Schwelle zum Berufsmusiker-Dasein stehen?

- Man fühlt sich wie in einer großen Familie, man teilt viele Erlebnisse des Erwachsenwerdens, man schließt Freundschaften, verliebt sich – diese Erfahrungen und der große Zusammenhalt übertragen sich auch auf die Konzerte. Die Erlebnisse, die ich mit dem Jungen Orchester der Europäischen Union hatte, gehören zu den wichtigsten Momenten meiner musikalischen Karriere.

Mit Jean Sibelius’ Konzert für Violine und Orchester d-moll op. 47 steht ein Stück eines finnischen Komponisten auf dem Programm. Finden Sie Sibelius’ Musik nordisch?

- Sibelius’ Tonsprache ist nicht eindeutig nordisch. Trotzdem habe ich das Gefühl, dass er mit seiner Musik etwas ausdrücken will, das ich sehr gut nachvollziehen kann.

Eine britische Kritikerin nannte Sie einmal einen „coolen Dänen“. Haben Sie einen anderen Dirigierstil als Ihre Kollegen aus Italien oder Spanien? Oder ist das ein plattes Klischee?

- Ich glaube, es hat weniger mit der Nationalität zu tun, sondern viel mehr mit den Menschen, die einem im Laufe der persönlichen musikalischen Entwicklung begegnen.




Thomas Søndergård gehört zu den profiliertesten Dirigenten der jüngeren Generation. 2005 dirigierte er die Uraufführung von Poul Ruders’ Werk Kafka’s Trial an der Königlichen Dänischen Oper und wurde von Publikum und Kritikern gleichermaßen gefeiert. Es folgten Dirigate von Verdis Luisa Miller an der Stuttgarter Staatsoper und Puccinis Tosca an der Königlichen Schwedischen Oper. In der Saison 2012/2013 wird Søndergård Chefdirigent des BBC National Orchestra of Wales und ebenso erster Gastdirigent des Royal Scottish National Orchestra.

Maren Winterfeld / Journalistin und Musikwissenschaftlerin

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