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Man kennt Sie hauptsächlich als Komponisten und Klarinettisten, und nun gehen Sie mit der Jungen Deutschen Philharmonie auch als Dirigent auf Tournee. Wann haben Sie eigentlich begonnen zu dirigieren?

-- Das war 2009 in der Bastille-Oper in Paris bei meinem Musiktheaterwerk Am Anfang, das ich gemeinsam mit Anselm Kiefer entwickelt habe. Es war die Abschiedsproduktion des damaligen Intendanten Gerard Mortier, und er wünschte sich, dass ich den Abend leite.

Am Beginn der beiden Konzertprogramme, mit denen Sie auf Tournee gehen, steht je ein Klarinettenkonzert: dasjenige in f-Moll von Carl Maria von Weber und das Mozart-Konzert. Danach folgt je ein Stück von Ihnen. Nach welchen Gesichtspunkten erfolgte die Auswahl?

-- Nach dem Mozart-Konzert spielen wir jeweils Armonica für Orchester, ein Stück, in dem die Glasharmonika eine zentrale Rolle spielt. Diese Komposition aus dem Jahr 2006 bezieht sich auf die kleinen Stücke, die Mozart gegen Ende seines Lebens für Glasharmonika geschrieben hat. Dieses Instrument war eine späte Liebe von ihm. Auch sein Klarinettenkonzert ist ein Spätwerk, und deshalb liegt die Kombination mit Armonica für mich auf der Hand. Webers Konzert wiederum ist mit den Dubairischen Tänzen gekoppelt. Es hat einen rhythmisch pointierten, musikantisch- heiteren Schlusssatz, der eine ideale Überleitung zu diesen Tänzen bildet. Nach der Pause folgt dann in beiden Konzerten die Dritte Sinfonie, die Schottische, von Felix Mendelssohn Bartholdy.

Nach dem heißen Dubai also der kühle, rauhe Norden?

-- Beides hat etwas mit dem Thema „Heimat in der Ferne“ zu tun: das Hingezogensein zur Peripherie, wie wir es auch aus Mendelssohns Hebriden-Ouvertüre kennen. Doch Mendelssohns Sinfonie ist ja zu großen Teilen nicht in Schottland entstanden, was das Verwirrspiel mit nationalen Stereotypen nur erhöht. Es ist aber einfach auch großartige Musik, formal von hoher Stringenz und mit einer außerordentlichen Dichte des Materials, und das über fast eine Dreiviertelstunde. Die Durchführung des ersten Satzes ist hoch interessant: eine Sturmszene, in der die verschiedenen Orchestergruppen durch voneinander versetzte Crescendi als unterschiedliche Zeitstrukturen gestaltet sind, mit unabhängiger Dynamik und exponierter Harmonik. Davon konnte sich gerade auch Wagner eine Scheibe abschneiden.
 
Ungewöhnlich schon von ihrer Entstehung her sind die Dubairischen Tänze. 2008 wurden Sie vom Siemens Art Program einen Monat nach Dubai geschickt, um sich dort zu einem neuen Werk inspirieren zu lassen. Das Resultat hat dann alle überrascht. Mit welchen Erwartungen sind Sie dort hingegangen?
 
-- Ich wusste nicht, was mich erwartete. Die spektakuläre Skyline dieser Stadt war mir natürlich von Fotos her bekannt, aber das ist schon fast das einzig Positive, was mir dazu heute einfällt. Es war wahnsinnig heiß, und in den ersten Tagen saß ich einfach nur apathisch in meinem Appartement unter dem Ventilator. Anders als in anderen arabischen Ländern findet man hier keine Musik in den Straßen. Das Eigene wäre dort vielleicht die Beduinenkultur, aber die ist wohl im Verschwinden begriffen. Im Grunde genommen ist die ganze Stadt eine einzige grandiose Kulisse der Moderne, und bis ins Detail merkt man ihr an, dass sie für uns Westler errichtet wurde.

Und irgendwann haben Sie dann gemerkt, dass Sie sich doch aus dem eigenen Rucksack verpflegen müssen.

-- Zunächst wusste ich gar nicht, dass ich so etwas dabei habe (lacht). Aber dann griff ich unbewusst auf diesen Proviant zurück. In den ersten Wochen hatte ich überhaupt keinen Bezug zu Dubai, und mir kreisten ständig nur diese bayerischen Landler, Zwiefachen, Märsche und Tänze im Kopf herum. Dafür fand ich überhaupt keine Erklärung.

Dann ging es Ihnen so ähnlich wie Claude Lévi-Strauss in der totalen Abgeschiedenheit des brasilianischen Nordwestens. In den Traurigen Tropen schreibt er, dass ihm hier, jenseits aller Zivilisation, immer eine Melodie von Chopin durch den Kopf gegangen sei. Wie eine fixe Idee.

-- Unglaublich! Ja, man versteht nicht, warum einem solche Dinge im Kopf herumspuken. Ich habe verzweifelt versucht, meine Gedanken in eine andere Richtung zu lenken, bis mir schlagartig klar wurde: Logisch, du musst so weit weg sein und dich so fremd fühlen, damit du das Eigene erkennen und deiner Herkunft bewusst werden kannst! Das erste, was nun entstand, war die Valse bavaroise, das Duo für Geige und Cello; es gibt da ja ganz unterschiedliche Besetzungen. Und dann blieb auf dem Klavier, das mir zur Verfügung stand, ständig die G-Taste hängen. Da habe ich voller Zorn immer das Cis, also den „Diabolus in musica“, da reingehauen. Das ist nicht hängengeblieben. Und so ist hier auch diese seltsame Bitonalität entstanden. Auch der Bayerische Defiliermarsch am Schluss, eines der ganz wenigen Zitate, ist bitonal-schief und wirkt wie ein permanenter Fehlstart. Es geht mir in diesen Stücken vor allem um die Differenz zum Vertrauten, um Dekonstruktion.

Die neun Stücke sind aber nicht alle in Dubai entstanden?

-- Nein, ich habe sie in Freiburg fertiggestellt, wo ich damals schon seit einigen Jahren wohnte. Also gewissermaßen auch weit entfernt von Bayern. Das spielt in diesen Stücken vielleicht ebenfalls eine Rolle. In dem, was darin „bairisch“ klingt, stecken übrigens auch fremde Einflüsse. In der Münchner Historie gibt es zum Beispiel die „Moriskentänzer“, wie man sie im Glockenspiel am Rathaus sieht. Das, was heute als „typisch münchnerisch“ gilt, waren ursprünglich arabische Tänzer aus dem Morgenland, deren derbe Tänze faszinierten. Schon bei Orlando di Lasso finden sich „Moresca“-Kompositionen. Solche Dinge und Verwandlungen interessieren mich.
 
Das Konzertprogramm kreist um die Begriffe Heimat und Fremde – ein zeitloses Thema. Man denkt dabei auch sofort an die Frühromantiker, an Schumann, Heine, Mahler usw.
 
-- Ganz sicher. Auch Eichendorff fiele mir dazu noch ein. Heimweh und Fernweh hängen für mich eng zusammen. Im vorletzten Stück, Vier Strophen, geht es um das Heimweh.
 
Dieses Stück hat in seiner Kürze für mich etwas Enigmatisches. Es hört auf, bevor es richtig begonnen hat.

-- Das ist ein ganz strenges Stück, wohl das expressivste und gleichzeitig am wenigsten tanzartige Stück, und hier werden in allen Instrumentengruppen die extremsten Dämpfer eingesetzt. Es ist ein Schlüsselstück für den ganzen Zyklus, denn Gefühle von Heimweh berühren einen selbst peinlich und verstören einen selbst zutiefst. Es sind die Gefühle von Unbehausten. Nach Gustav Mahler sind wir Musiker alle „fahrende Gesellen“, und das gilt erst recht in unserer globalisierten Gesellschaft. Aber umso stärker kommt dabei das Verlangen zum Ausdruck, sich irgendwo zu verorten. Die eigenen Wurzeln scheinen heute wieder wichtiger zu werden.
 
Wo ist Ihre Heimat?
 
-- Darauf möchte ich ganz spontan antworten: Zuallererst in der Musik, die ich gerade spiele oder komponiere. Wo auch immer das sei.
 
***
Max Nyffeler
Journalist und Autor

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