MichelleBreedtInterview BannerN

Mittags um zwölf: Pünktlich auf die Minute meldet sich Michelle Breedt zum Interview. Pünktlich wie die Maurer, wäre die deutsche Redewendung dafür – die südafrikanische Mezzosopranistin zitiert ihren Vater, der sagte, seine eigene Zeit dürfe man gerne verplempern, aber nicht die eines anderen. Überhaupt wird es ein persönliches, offenes Gespräch. Und dies über ein beklemmendes Thema: die Kindertotenlieder von Gustav Mahler, die Michelle Breedt bei der Frühjahrstournee mit der Jungen Deutschen Philharmonie singen wird.

Frau Breedt, erlauben Sie mir zu Beginn eine sehr persönliche Frage: Haben Sie Kinder?

– Nein. Mein „Kind“ ist gerade eine neun Monate alte Rassekatze, die mich auf meinen Tourneen durch die ganze Welt begleitet. Allerdings war ich auch sehr beteiligt am Erziehen und Formen gleich mehrerer Kinder meiner Verwandtschaft in Südafrika. In der schwarzen Bevölkerung von Südafrika gibt es die wunderbare Tradition, dass die Kinder einer Familie zur ganzen, großen Gemeinschaft gehören. Und entsprechend von allen erzogen werden. Von Onkeln, Tanten, Großeltern, vom ganzen Dorf. Diese Tradition habe ich mir zu eigen gemacht und mich da sehr involviert. Um ein Kind zu lieben, muss man es nicht gebären.

Worauf meine Frage abzielte, ist Ihnen natürlich klar: Die Kindertotenlieder von Gustav Mahler, die Sie jetzt mit der Jungen Deutschen Philharmonie singen werden, drehen sich um das Schrecklichste, was im Leben eines Menschen vorstellbar ist, eben den Verlust des eigenen Kindes. Was denken Sie: Kann eine Sängerin, die Mutter ist, diese Lieder besser singen – oder überhaupt nicht?

– Eine schwierige Frage. Ich habe geahnt, dass Fragen wie diese kommen werden, und ich werde deshalb über etwas ganz Persönliches aus meinem Leben sprechen: Mein jüngster Bruder hat Selbstmord begangen. Er war acht Jahre jünger als ich, ich habe also auch etwas mitgeholfen, ihn zu erziehen. Auch wenn es nicht mein Kind war, wurde ich doch direkt mit dieser Situation konfrontiert. Was das mit meiner Familie, mit den Eltern gemacht hat! Und auch mit mir! Ich habe meinen kleinen Bruder einst in den Schlaf gesungen, es war eine besondere Beziehung. Ich kann also das Grauen leibhaftig vor Augen haben, ich weiß, was das für meine Eltern bedeutet hat. Ich kann, wenn ich Mahlers Lieder singe, aus dieser Erfahrung schöpfen, aus dieser Erschütterung. Leider. Noch heute, auch nach elf Jahren, wache ich nachts auf und erschrecke darüber. Keine Mutter, kein Vater soll das eigene Kind zu Grabe tragen müssen!

Wenn Sie die Kindertotenlieder singen: Wie nahe lassen Sie die Texte an sich heran? Werden Sie zu diesem „Ich“, wenn es zum Beispiel heißt: „Oft denk’ ich, sie sind nur ausgegangen!“

– Ja, natürlich. Bei Mahler ist es ja immer eine Gratwanderung, diesen besonderen Ton zu treffen. Man braucht eine gewisse Objektivität, also einen Erzählton, aber ebenso eine innere Beteiligung. Und diese Beteiligung muss hundert Prozent sein. Sie hatten am Anfang gefragt: Singt jemand mit diesem Schicksal die Lieder anders? Es ist Teil des Künstlers, sich hineinzuversetzen. Zwar würde ich dann doch nie so frech sein zu behaupten, ich könne mich vollends in den Schmerz einer Mutter hineinversetzen. Ich denke aber schon, das ich kann aufgrund meiner persönlichen Geschichte dem recht nahe kommen kann.

Es gibt ja auch Sänger, ich denke da an den Bariton Christian Gerhaher, die nichts halten von einer übermäßigen Identifikation des Liedsängers mit dem Lied. Die sich sozusagen bewusst danebenstellen. Wäre das für Sie ein Weg?

– Für mich persönlich nicht. Mein Temperament ist eher das eines Südländers, ich bin also leidenschaftlich beteiligt. Allerdings gibt es die Grenze, die man nicht überschreiten darf als Interpretin. Sonst kann ich meine Arbeit als Sängerin nicht ausführen. Die Tränen, die heiß die Wangen herunterlaufen, sind in der Vorarbeit, wenn ich zu Hause Text und Musik für mich alleine erarbeite, möglich und vielleicht wichtig. Doch dann muss ich mich auch wieder auf eine gewisse Weise davon distanzieren. Ein völlig kaltes Sich-daneben-Stellen wäre für mich aber nicht möglich. Wie soll ich so mein Publikum erreichen? Schließlich ist die menschliche Stimme ein Instrument, bei dem man jede Emotion sofort hören kann. Bist du fröhlich? Traurig, deprimiert? Man hört es sofort.

Einmal weg vom Text und hin zur Musik: Was verlangen diese Mahler-Lieder musikalisch von Ihnen?

– Mahlers Musik ist generell eine Herausforderung. Sie verlangt Klarheit, und sie verlangt das Verständnis einer ganz eigenen harmonischen Welt. Da schwingt – so höre ich das zumindest – eine ständige Melancholie mit, und man hört deutlich in den Holzbläsern seine jüdische Herkunft. Und da ist immer wieder auch diese fast kitschige Schönheit. Es ist eine Bitter-Süßigkeit in seiner Musik – da die richtige Dosis in der Interpretation zu finden ist die eigentliche Herausforderung. Und dann ist da noch die große Schwierigkeit, die vor allem die Dirigenten lösen müssen: Ich finde, Mahler wird oft zu laut gespielt. Sicher, manchmal muss das Blech im Fortissimo lärmen – aber auch Pianostellen werden mit viel zu großem Ton genommen. Mahler hat ja wirklich alles akribisch in seinen Partituren notiert. Und trotzdem nehmen manche Dirigenten ihn pauschal als postromantischen Großsinfoniker mit pompösem Einheitsklang.

Der Dirigent hat ein Riesen-Orchester vor sich, das verführt wahrscheinlich.

– Genau. Und diesen Apparat leise klingen zu lassen, ist die Kunst. Besonders wichtig ist das natürlich, wenn die Gesangsstimme in die Tiefe geht. Da wird jeder Sänger allzu schnell übertönt.

Sie haben die entsprechenden Solopartien der Mahler-Sinfonien in Ihrem Repertoire, auch seine Lieder und das Lied von der Erde. Trotzdem überlagert in der Präsenz die Wagner-Sängerin Michelle Breedt die Mahler-Sängerin deutlich – was auch logisch ist, Wagner war schließlich Opernkomponist, und Bayreuth ist Ihre zweite Heimat. Welchen Stellenwert hat Mahlers Musik in Ihrem Leben?

– Die Opernliteratur stellt für die meisten Sänger nun einmal die Brot-und-Butter-Jobs zur Verfügung. Stilistisch sind beide ja unheimlich verschieden. Wagner komponierte deklamatorischer, Mahler melodiöser. Oder sagen wir so: Mahler kann die Melodie nicht verleugnen. Hier liegt in der Einfachheit die Komplexität. Manches klingt wie Kinderlieder bei ihm oder wie Volkslieder. Für mich ist das viel treffender als jede komplizierte Kontrapunktik. Viel mehr das Herz berührend. Das ist schwer zu beschreiben.

Seit einigen Jahren unterrichten Sie auch. In Bayreuth geben Sie Meisterkurse, in München haben Sie eine Professur. Ist schon einmal einer Ihrer Studenten mit einem der Kindertotenlieder bei Ihnen zum Vorsingen angetreten?

– Ja. Das liegt in der Unschuld der Jugend. Und das ist ja auch gut. Deshalb freue ich mich auch so auf die Arbeit mit der Jungen Deutschen Philharmonie. Ich liebe junge Leute. Ich liebe deren Offenheit. Ich liebe unbeschriebene Blätter. Da ist noch alles möglich. Da ist diese Neugierde, dieses Aufsaugen, abseits aller Routiniertheit. Das ist faszinierend.

Sie beklagen ja, dass deutsche Musikhochschulen nicht praxisnah ausbilden würden. Da ist die Junge Deutsche Philharmonie ein Ort der absoluten Praxisnähe, oder?

– Auf jeden Fall! Deshalb freue ich mich auch so sehr. Die Tournee wird sicher physisch anstrengend für mich, aber ich erwarte auch, dass wir voneinander lernen können. Ich glaube, die jungen Musiker können von den Jahren meiner Erfahrung profitieren, und ich kann inspiriert werden von diesen Musikern. Weil eine Unvoreingenommenheit vor solch großen Werken auch etwas Schönes ist. Wir werden dort unsere Kindertotenlieder-Interpretation finden.

Und auch auf Jonathan Nott müssten Sie sich eigentlich freuen. Denn Sie kritisieren ja jene Dirigenten-Generation, die – ich zitiere aus einem Interview von 2015 – „keine Ahnung von Stimmen hat, weil sie rein vom Symphonischen kommt und keine klassische Ausbildung als Kapellmeister durchlaufen hat“. Nott war Kapellmeister, in Frankfurt und Wiesbaden. Hatten Sie schon mit ihm zu tun?

– Ja, wir haben Mahlers Zweite zusammen gemacht, in Amsterdam. Ich glaube, es wird eine echte Zusammenarbeit werden – denn ich denke schon, dass ich auch einmal etwas zum Orchestralen sagen werde in den Proben. Wenn zum Beispiel etwas nicht leise genug ist. Ich singe schließlich aus der Partitur, lese also die Instrumentation mit, analysiere das mit, sehe die Themen, sehe auch die Probleme, die ein Dirigent an manchen Stellen haben kann, weil etwa eine Flöte in gewisser Lage nicht mehr leiser spielen kann.

Sänger, die Partituren genau lesen, gibt es nicht allzu häufig.

– Ich interessiere mich nicht nur für meine musikalische Linie, sondern für die ganze Komposition. Ich bin ja nicht nur Sängerin, ich bin Musikerin. Nur so bekommt man einen tieferen Einblick in die Musik.

Da drängt sich die Frage auf: Michelle Breedt als Dirigentin – ein Thema?

– Sie werden lachen, das gab es schon. Ich habe in Südafrika Purcells Dido and Aeneas sowohl dirigiert als auch inszeniert. Beides gleichzeitig würde ich nie wieder in meinem Leben machen, das war eine Tour de Force. Am Pult zu stehen ist schon eine tolle Erfahrung. Ebenso wäre es auch für Dirigenten eine gute Erfahrung, zu singen zu versuchen. Und bei einem Gesangspädagogen die technischen Schwierigkeiten und Möglichkeiten der menschlichen Stimme kennenzulernen. Die Stimme ist einfach das schwerste Instrument. Anders herum: Die Frustration eines Dirigenten, wenn er ein Tempo vorgibt, aber der Sänger macht, was er will – da würde jeweils ein Rollenwechsel beiden Seiten ganz schön die Augen öffnen.

***
Stefan Schickhaus
Musikjournalist

Die in Südafrika geborene Mezzosopranistin Michelle Breedt ist eine der führenden Wagner-Sängerinnen unserer Zeit. Zum ersten Mal im Jahr 2000 sang sie bei den Bayreuther Festspielen, seitdem tritt sie mit großer Regelmäßigkeit dort auf. Zu ihrem Repertoire gehören aber auch die Mezzo-Partien in Opern von u. a. Gluck, Mozart, Berlioz, Gounod und Strauss sowie die Lieder und Sinfonien von Gustav Mahler.
Die für ihre intensive Rollengestaltung bekannte Sängerin, die 1990 nach Deutschland gekommen und Ensemblemitglied des Kölner Opernstudios geworden war, ist mittlerweile selbst eine gefragte Gesangslehrerin. Bei den Bayreuther Festspielen gibt sie Meisterkurse, in München hat sie eine Professur an der Musikhochschule.

ABGESANG – Frühjahrstournee 2017

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