„Es ist, als wenn man langsam durch einen Garten ginge.“ Toshio Hosokawa

Das Kammermusikprojekt HERBSTLIED begann am Freitag, den 04.06.2021 im Haus der Deutschen Ensemble Akademie in Frankfurt mit einem Moderationsworkshop von Dr. Anselma Lanzendörfer (Fundraising / Sonderprojekte), denn Ziel der Woche war nicht nur die Erarbeitung des Repertoires, sondern auch die Ausgestaltung einer individuellen, von uns MusikerInnen gestalteten Konzertmoderation. Der Startschuss für eine kreative Ideensammlung war gesetzt. Und um diese angemessen füllen zu können, war ein Eindruck der Musikstücke nötig. Der erste Abend wurde daher intensiv zum Proben genutzt, zumal am Folgetag bereits der erste Unterricht anstand. Dabei bemerkten wir schnell, dass die Probenarbeit der Klarinettenquintette von Mozart und Hosokawa sehr unterschiedliche Schwerpunkte hat.

SKM22 Herbstlied01

Der Cellist Jan-Filip Ťupa, der selbst für zeitgenössische Musik brennt, zeigte uns im ersten Unterricht unter anderem, wie wir im Zusammenspiel die Orientierung in Toshio Hosokawas Herbst-Lied behalten. Er hörte sich sensibel in unser Ensemble und unsere individuellen Spielweisen ein und half uns dabei, klanglich noch schneller und präziser zusammenzufinden. 

Ein weiterer Mentor bei diesem Projekt war der belgische Klarinettist und Gründungsmitglied des Mahler Chamber Orchestra Jaan Bossier. Er ließ uns am Folgetag auf beeindruckende Weise spüren, wie eine Person auch wortlos und nur mit ihrer Präsenz und kleinen Gesten den Stücken und unserem Ensemble einen weiteren, ganz anderen Geist einhauchte. Beide Mentoren arbeiteten ebenfalls im Einzelunterricht intensiv mit unseren Solisten. Die Cellistin Clara Franz und der Klarinettist Joshua Dahlmanns erhielten wertvolle Inspirationen und Anregungen für die Darbietung ihrer Solowerke Threnody für Violoncello solo von Akira Nishimura und Turtle Totem von Dai Fujikura.

SKM22 Herbstlied03

Bis Sonntag entwickelten wir zwei Moderationskonzepte, die bei den vier Konzerten in Berlin, Köln, Bad Homburg und Düsseldorf im Wechsel umgesetzt wurden. Über die Probenzeit hinweg entdeckten wir immer wieder neue Klänge in den Werken. Sehr inspirierend waren für uns auch Toshio Hosokawas Gedanken zu den Unterschieden zwischen japanischer und europäischer Musik: Für ihn ist in der europäischen Musik ein Ton ein Teil eines Ganzen, während in der japanischen Musik ein einzelner Ton bereits eine ganze Landschaft darstellen kann. Unsere Bratscherin Lina Bohn nahm in den Werken insbesondere die Vielfalt von Stille wahr: „Was ist Stille? Wie ist Stille? Ich glaube, es gibt so viele Arten und Qualitäten von Stille wie es diese von Tönen und Musik gibt. Es macht einen Unterschied, was davor erklang, was danach erklingt und sogar wer und wie viele Menschen der Stille wie lauschen. Was können wir durch Stille entdecken, was lernen, was erfahren?“

Am Mittwoch begann unsere Tournee mit dem ersten Konzert im Japanisch-Deutschen Zentrum Berlin. Wir wurden herzlich empfangen und ließen uns von der besonderen Atmosphäre des Hauses inspirieren. Die Werke nun zum ersten Mal im Konzert vor kleinem Publikum sowie im Livestream darzubieten, war aufregend. So besonders, wie die Programmreihenfolge für das Publikum war (die vier Sätze von Mozarts Klarinettenquintett wechselten sich mit drei Werken japanischer Komponisten ab), so war es auch für uns SpielerInnen eine bereichernde Erfahrung, die andere Anforderungen mit sich brachte, als wenn wir das Mozart-Quintett wie gewöhnlich in einem Stück gespielt hätten. Es forderte von uns eine noch größere Aufmerksamkeit und die Sensibilität, uns schnell in die kontrastierenden Stimmungen hineinzuversetzen. Es erfüllte uns mit Stolz, dass zwei Konzertbesucher Toshio Hosokawa, den Herbst-Lied-Komponisten, kannten und ihm von diesem besonderen Konzert berichten wollten. Für den Klarinettisten Joshua Dahlmanns bot sich die Gelegenheit, Dai Fujikura, den Komponisten des Solowerkes Turtle Totem, im Voraus persönlich zu sprechen. „Es war für mich nochmal eine ganz neue Erfahrung, persönlich mit einem Komponisten zu sprechen, dessen Solo-Stück ich spiele“, erzählt er. „Das Gespräch mit Dai hat mir sehr viel Spaß und Erkenntnis gebracht. Ein Mensch, der sehr offen für alle Fragen war. Definitiv hat mir Dai Fujikura helfen können, das Stück besser zu begreifen und neben musikalischen Feinheiten war für mich vor allem prägend, dass er mir sehr viel persönlichen Interpretationsspielraum eingeräumt hat, was natürlich meine Kreativität und meinen Spaß an #Turtle Totem# gesteigert hat.“

Am nächsten Tag spielten wir im Japanischen Kulturinstitut in Köln und lernten immer besser, uns auf die täglich wechselnde Akustik einzustellen. Wir entwickelten große Freude am spontanen Verzieren sich wiederholender Phrasen bei Mozarts Klarinettenquintett. Die Freude am Überraschen der MitspielerInnen mit den eigenen kreativen Ideen blieb bis zum letzten gemeinsamen Ton erhalten. 

SKM22 Herbstlied02

Ein Highlight der Tournee war für uns das Open-Air-Konzert der Werner Reimers Stiftung in Bad Homburg, bei dem wir in der sommerlichen Abendluft neben unseren eigenen Klängen auch die der Vögel und der Natur in den Werken hören durften. Im Anschluss gab es hier die Gelegenheit zu einem kleinen Austausch mit dem Publikum. Nach so langer Zeit des Abstandhaltens und der Kontaktmeidung wieder für ein Publikum zu spielen und sich im Anschluss sogar austauschen zu dürfen, war ungewohnt und schön. 

Unsere Tournee endete an einem heißen Sommertag mit dem vierten Konzert im Palais Wittgenstein in Düsseldorf. Es war ein ergreifendes Konzert, bei dem wir das gemeinsame Musizieren nochmal sehr genossen haben. Neben den persönlichen musikalischen Erfahrungen, die wir gemacht haben, war es wirklich schön und aufregend, innerhalb kurzer Zeit den Geist vier verschiedener Städte mit all den zuversichtlichen Menschen, die sich der zurückgewonnenen Freiheit erfreuten, erlebt zu haben. 

Es war, als wären wir langsam durch einen Garten gegangen. Ein Garten voller Eindrücke aus zwei musikalischen Welten, verschiedenen Städten und einer Vielzahl von Menschen, die uns auf diesem musikalischen Spaziergang begleitet haben. 

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Geraldine Galka / Violine

Fotos: Salar Baygan

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