André de Ridder – unser Dirigent dieser Arbeitsphase und eine einmalige Persönlichkeit: Freelancer, Freigeist, Hundeliebhaber, Jürgen-Klopp-Klon, GMD des Stadttheaters Freiburg (seit September 2022). So haben wir schon während der Probenphase mit André beim „Kamingespräch“ über die Zukunft der modernen klassischen Musik diskutiert. Wir unterhielten uns darüber, ob zeitgenössische Musik wirklich atonal sein müsse oder ob das nicht auch schon wieder Geschichte sei. Immerhin gibt es atonale Musik schon seit mehr als 100 Jahren. André de Ridder ist der Meinung, dass es ein Weg der zukünftigen modernen Musik sein könnte, wenn wir verschiedene Kunstformen miteinander verbinden. Wir als Orchester erlebten André als sehr strukturiert, effizient und zielgerichtet, aber zugleich locker, ruhig, besonnen, menschlich zugänglich und sehr offen gegenüber Vorschlägen.

Bodensee – Die Graf-Zeppelin-Halle in Friedrichshafen, wo wir unser vorletztes Konzert hatten, liegt direkt am größten See Deutschlands. Da liegt es doch nahe, zwischen Anspielprobe und Konzert noch kurz ins Ende-September-warme Wasser zu hüpfen, oder nicht?!?

Cankarjev Dom in Ljubljana – die erste Spielstätte unserer Tournee. Wir wurden nett im Hotel Lev empfangen und waren selbst sehr zufrieden mit dem ersten Konzert und vor allem mit der ersten Aufführung von Nicole Lizée – das Publikum hingegen schien über #8-Bit Noir# geteilter Meinung zu sein … 

Dreihundertsechzig Grad – unter diesem Titel fand unser Konzert in der Alten Oper Frankfurt im Rahmen des Festivals Fratopia statt. Wir saßen im Parkett in der Mitte des Saals, das Publikum ringsherum. Ein neues Klangerlebnis; auch, weil unser Solist Kit Armstrong ebenfalls anders platziert war und genau in der Mitte des Orchesters zwischen den Streicher*innen saß. Die beiden Nebensitzer*innen hatten wohl die besten Plätze des Abends …

Entengeschichte – Wie gern Kit Armstrong Ente mag und was das mit Stromausfällen im Hotel zu tun hat, bleibt unser Tourneegeheimnis.

Freigeist – das Motto unserer Arbeitsphase. Alle Komponist*innen unserer Stücke sind gewissermaßen Freigeister und als wir unseren Solisten Kit gefragt haben, ob er sich selbst auch als Freigeist sieht, meinte er: „Weißt du, drüben in meinem Hotel gibt es einen Aufzug, und auf dem Boden ist ein Kreis, da soll man sich hineinstellen. Ich stand die gesamte Fahrt außerhalb des Kreises …“

Genreübergreifend – so kann man das Werk 8-Bit Noir der kanadischen Komponistin Nicole Lizée bezeichnen. Bei diesem Stück ist die Diskrepanz der Reaktionen der Zuhörer*innen besonders hoch gewesen. Viele fanden es super inspirierend, manche verstanden das Stück nicht, und es gab sogar zwei Leute, die das Konzert deswegen früher verließen. Doch was ist der Grund für diese unterschiedlichen Meinungen? Zum einen wird #8-Bit Noir# dem Anspruch von absoluter Musik nicht gerecht. Es ist ein hybrides Stück; in der Aufführung kommen neben dem Orchester auch ein Video und Elektronik-Sounds zum Einsatz. Außerdem wird auf der Bühne Lego fallen gelassen, Pop Rocks Candy gegessen, Papier zerrissen, gesungen oder mit Backpapier geknistert. Durch das Hybride in ihrem Werk entsteht eine ganz neue Form von Musik, die nicht jede*r Zuhörer*in gewohnt ist. Was vermittelt Lizée den Zuhörer*innen mit dieser schrägen, nicht ganz zusammenpassenden Welt?

HAP21 Probe 40

Heinrich-Lades-Halle – Unser erstes Konzert in Deutschland fand in der Heinrich-Lades-Halle in Erlangen statt. Leider ohne das Werk von Lizée, aber dafür vorweg mit einer Konzerteinführung von drei Orchestermitgliedern, die vorher den Moderationsworkshop besucht hatten, sowie Kit Armstrong, der uns als Interviewpartner zur Seite stand.

International – das war unsere Tournee, denn neben den fünf Konzerten in Deutschland hatten wir auch ein Konzert in Ljubljana, Slowenien. Wir sind alle sehr glücklich, dass solch eine Tournee trotz Corona wieder möglich war! Dass Slowenien am Tag unserer Abfahrt von Deutschland als Risikogebiet deklariert wurde, hat zum Glück nichts ausgemacht, weil wir erstens beruflich unterwegs waren und uns zweitens weniger als 24 Stunden in Slowenien aufgehalten haben. Trotzdem gab es ein bisschen Zeit, die Stadt sowohl vor dem Konzert zu erkunden als auch danach – allerdings waren da schon längst alle Bürgersteige hochgeklappt, und keine Bar oder Kneipe wollte uns noch aufnehmen. So musste das selbst mitgebrachte Bier am Ufer der Ljubljanica getrunken werden.

Jugendgästehaus Wolfenbüttel – unsere Unterkunft während der Probenphase. Viele Probenräume, ein schöner Orchestersaal mit Blick in den angrenzenden Park, Freizeitraum mit Tischtennis, Tischkicker und Bierkühlschrank – hier konnte man’s zum Proben gut aushalten! Über die tägliche Suppe zum Abendessen war man geteilter Meinung …

Kit Armstrong – unser Solist dieser Arbeitsphase. Er ist nur wenige Jahre älter als wir, gilt aber jetzt schon als Legende! Kit hat eine unglaubliche musikalische Begabung, studierte neben Musik auch noch Physik, Mathematik und Chemie und spricht mehrere Sprachen fließend. Besonders beeindruckte er uns damit, dass er die Kadenzen und Eingänge im Mozart-Konzert jedes Mal improvisierte. So blieb es für uns und unseren Dirigenten immer spannend, und jede Aufführung war ein Unikat.

HAP21 Kit Clara Rodriguez

Louis Vuitton – Das Stück Three hundred and twenty von Bryce Dessner und Woodkid war eigentlich ein Auftragswerk für das große Finale der Louis Vuitton Fashion Week 2020 in Paris. Die Models trugen die aktuelle Kollektion, im Hintergrund sang ein riesiger Chor, eingekleidet in Kostüme ab der Zeit von Louis XIV bis heute. Dieses Zusammenwirken von Vergangenheit und Gegenwart spielt auch in der Musik von Three hundred and twenty eine große Rolle. Wir haben dieses Stück in den Konzertsaal gebracht (in einem Orchester-Arrangement unseres Dirigenten), aber es lohnt sich auch, noch einmal das Modenschau-Original auf YouTube anzuschauen!  

Moderationsworkshop – Als Projekttag II besuchte uns Christian Edelmann (Cellist und Musikvermittler der NDR Radiophilharmonie Hannover) einen Vormittag lang in Wolfenbüttel und gab den sechs Kursteilnehmer*innen einen Moderations-Crashkurs. Die Zeit ging schnell vorbei, aber Herr Edelmann schaffte es, uns die wichtigsten Grundlagen zu vermitteln und zudem alle unsere Stücke einmal zu besprechen, sodass wir danach gewappnet waren, selbst eigene Moderationen zu verfassen.

Nachhaltiges Orchester – muss man Vegetarier*in werden, um den Klimaschutz ernst genug zu nehmen? Diese und andere Fragen diskutierten wir an unserem ersten Projekttag „Nachhaltiges Orchester“ mit Jan Bauer vom Verein „Orchester des Wandels“. Dies ist ein Zusammenschluss deutscher Berufsorchester, welche Konzerte konzipieren und zur Aufführung bringen, die Themen wie den Klimawandel aufgreifen. Diese Konzerte sollen die allgemeine Aufmerksamkeit darauf lenken, dass auch Orchester für ein nachhaltiges Leben in Zukunft stehen. Insgesamt legt der Verein viel Wert darauf, die Naturschönheit den Menschen im Konzert noch einmal besonders nahezubringen, um zu zeigen, was wir verlieren würden, wenn wir nicht auf den Klimawandel achten. Daraus entstand eine Diskussion, wie stark man Besucher*innen „schockieren“ dürfe, da man ja auch als Orchester seine Zuhörer*innen nicht verlieren wolle, sie gleichzeitig jedoch wecken und auf den Klimawandel aufmerksam machen möchte. 

Orgateam – was wäre diese Tour ohne unser Orgateam gewesen? Kein Konzert wäre möglich gewesen, keine Reise wäre möglich gewesen, keine Probe wäre möglich gewesen. Nichts wäre möglich gewesen ... Vielen Dank an Carola, Thomas, Linda, Anselma, Sina, Eva, Marcel und Ella!

Pop Rocks Candy – der coolste Special Effect aus 8-Bit Noir von Lizée. Mit den pappsüßen Knallbonbons im Mund erzeugten die Streicher*innen durch ruckartiges oder langsames (crescendo!) Öffnen der Münder einen knisternden Soundeffekt, der im Publikum für Lacher sorgte (sicher auch deswegen, weil wir dabei ein bisschen aussahen wie nach Luft schnappende Fische …).

HAP21 Probe 38

Qualität der Jungen Deutschen Philharmonie – „Dass ein Orchester, das doch seinem Wesen nach ein Durchlauferhitzer für Begabungen sein muss, solch einen homogenen, dabei biegsamen, wendigen Gesamtklang bietet, war wieder verblüffend und durch die Nähe noch erschütternder als sonst.“ (Judith von Sternburg in der Frankfurter Rundschau vom 29.9.2021)

Reisen – An die verschiedenen Konzertorte gelangten wir je nach Erreichbarkeit mit dem Reisebus oder mit dem Zug. Die langen Busreisen nach Slowenien und zurück und auch der Stau auf dem Weg nach Aschaffenburg waren kräftezehrend, aber in sehr guter Erinnerung bleibt uns der Busfahrer Mark-Josef, der uns während der Fahrt immer wieder seine Reiseführerkünste zeigte, die Umgebung erklärte und wirklich jeden Berg mit Namen kannte!

Schumann – Robert Schumann schrieb seine 4. Sinfonie eigentlich als zweite, nämlich 1841, im Jahr der erfolgreichen 1. Sinfonie und der Hochzeit mit Clara. Ein glückliches Jahr also – aber die Sinfonie in d-Moll fiel beim Publikum durch. Schumann legte sie zur Seite und überarbeitete sie erst zehn Jahre später, als er neues Repertoire brauchte. Sein damaliges Orchester war allerdings nicht so gut wie das Orchester bei der Urfassung, deshalb gibt es in der Zweitfassung einige Unterschiede in der Instrumentation; einige Stellen waren dicker besetzt, sodass alle Linien auch wirklich durchkommen. Außerdem hat er manche Übergänge auskomponiert, die zuvor etwas ruckartig erschienen haben mögen. In dieser Zweitfassung wurde die Sinfonie dann als Vierte veröffentlicht. Wir haben in unseren Konzerten jedoch die Urfassung gespielt, das Original, welches wirklich reizvoll ist und im Vergleich zur Zweitfassung luftiger wirkt. Auch Brahms war ein großer Verfechter der Urfassung. Wir finden, dass diese Urfassung neben der öfter gespielten Zweitfassung noch mehr im Konzertleben etabliert werden sollte! 

Talent, welches Talent? Ich greif einfach in die Tasten und es klingt halt gut … Bisher! Vielleicht passiert ja irgendwann sowas wie bei 8-Bit Noir ...“ (Kit auf die Frage, ob seine Eltern Musiker sind oder woher er sonst sein Talent hat)

Unterkünfte – Auf Tour waren wir jeden Tag in einem anderen Hotel untergebracht, und aus Corona-Gründen hatten wir alle Einzelzimmer (frei, aber einsam!). In Nürnberg war das einzige Hotel, in dem wir zwei Nächte hintereinander übernachtet haben. Einige haben sich in Sauna und Fitnessraum entspannt bzw. ausgepowert, und für den Verzicht auf die Zimmerreinigung wurden wir mit einem Freigetränk belohnt. So haben wir das gelungene Konzert in Erlangen in der Hotelbar gefeiert – das Personal hat sich sicher gefreut, als kurz vor der letzten Runde noch ein ganzes Orchester aufgetaucht ist …

Volksmusik in bester Qualität bekamen wir am Bunten Abend von den Blechbläsern dargeboten, nachdem wir zur Feier des Tages und zur Freude aller gegrillt haben. Außerdem gab es noch einige andere großartige Musikbeiträge in verschiedenen Besetzungen und Gattungen. Eine besondere Überraschung war Thomas, der uns ein Stück auf seinem Dudelsack gespielt hat. Nach dem Konzertteil gab es draußen noch einige Spiele, und am Ende haben die Geigen den großen Registerwettstreit knapp gewonnen.

Wohnzimmer der Jungen Deutschen – Das Konzert in der Kölner Philharmonie war für unseren Dirigenten André de Ridder der Höhepunkt unserer gemeinsamen Phase. Da sowohl er als auch wir als Orchester den Saal kannten, war es wie ein Heimspiel und wir fühlten uns sehr wohl!

Xylophon nicht, aber Marimbaphon und Vibraphon kamen in unseren Konzerten zum Einsatz, mitunter auch in Verbindung mit Alufolie und Legosteinen …

Yeah, yeah, Proben! Am 14. September begannen die Proben für die Herbstarbeitsphase 21. Besonders war dieses Mal, dass wir alle 45 Minuten wegen Corona eine Lüftungspause einlegten, welche wegen der bestehenden Maskenpflicht während der Proben freudig angenommen wurde. Es ist bemerkenswert, wie viel konzentrierter man durch die häufigen Pausen und die frische Luft war. Nach zwei Registerproben gab es eine Tuttiprobe unter der Leitung von Norbert Kaiser, welche sehr motivierend war und uns noch mal viel Schwung sowie neue Ideen für die weiteren Registerproben gab. Dort arbeiteten wir mit Übungen daran, wie wir unsere Freiheit (individuelle Klänge und Spielgewohnheiten) erhalten und trotzdem einen Gruppenklang entstehen lassen können. Die Tutti-Proben mit André de Ridder machten großen Spaß, weil er so viel Energie mitbrachte und sie mit uns gemeinsam in Musik umwandelte.

HAP21 Probe 19

Zugaben – Bach, Gershwin, Schönberg, Liszt und Byrd: Kit überraschte uns bei jedem Konzert mit einer anderen Zugabe und zeigte so noch mal die große Bandbreite seines Repertoires – das Publikum war begeistert. Und wir auch!  

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Elisa Schrape (Violine) & Rebecca Falk (Violoncello)

Fotos: Salar Baygan und Clara Casado Rodriquez

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