... schallte es durch die Elbphilharmonie.
CREDO war nicht nur der Titel unserer Frühjahrstournee, nein, „Credo“ beschäftigte uns in vielerlei Hinsicht die gesamte Arbeitsphase hindurch. Rückblick auf die Frühjahrstournee 2019 mit Jörg Widmann.
 

 

CREDO – Ein Titel, der viele Fragen aufwirft, aber ganz besonders eine: Was hat Credo mit unserem Programm, mit Felix Mendelssohn Bartholdy, Robert Schumann und Jörg Widmann, zu tun? Bevor wir ein „Ich glaube“ durch die Elbphilharmonie rufen konnten, mussten wir uns erst einmal 20 Tage lang sowohl gedanklich als auch musikalisch mit diesem Spannungsfeld auseinandersetzen.

Unsere Reise begann in der Landesmusikakademie Ochsenhausen. Passend zum Titel der Frühjahrstournee in einem alten Benediktinerkloster aus dem 11. Jahrhundert. Dort sollten wir für knapp eine Woche proben. Die ersten Tage verbrachten wir mit Registerproben, in denen wir uns langsam an die für uns sehr neuen Spielanweisungen in Widmanns Messe rantasteten – mit dem Bogen auf dem Steg streichen, Wirbelglissandi, Knarzlaute, Halbtonglissandi und vieles mehr.
Am Anfang dachten sich einige: „Das ist doch unspielbar!“ – Jörg Widmann antwortete darauf später in einer Probe nur lächelnd: „Ich kenne die Grenzen der Instrumente und gehe gerne noch einen Schritt darüber hinaus.“ Auch schon der Weihnachtsbrief von Jörg Widmann, der mit einigen Hausaufgaben an uns gerichtet war, sorgte für viel Furore: „Wie zum Teufel soll man diese Tempi im Schumann bewerkstelligen?“ Auch die außergewöhnliche Besetzung in seiner Messe (Kontrabassklarinette, Wassergong, Akkordeon) machte uns sehr neugierig. Die Anfangsproben mit Martijn Dendievel und Arutyun Muradyan aus dem Dirigentenforum, dem Förderprogramm des Deutschen Musikrats, sollten uns schon eine Vorstellung davon geben, was uns erwarten würde. Doch warteten wir alle gespannt auf Jörg Widmann, der in unserem Programm sowohl als Solist, Komponist als auch als Dirigent fungierte.

JoergWidmann


Schon die erste Probe mit ihm war so energiegeladen, dass das unfassbar schwere Scherzo in der Schumann-Sinfonie direkt im gewünschten Tempo durchgespielt wurde: „schnell, schneller, schneller als möglich!“ – Chapeau an unsere Geigen! Man konnte deutlich spüren, dass ihm dieses Projekt eine Herzensangelegenheit war. Akribisch wurde bis in jedes kleinste Detail geprobt: „Wir brauchen den speziellen Schumann-Klang.“ Oder im Zusammenhang mit seiner Messe: „Bitte spielt das nicht wie Neue Musik – Geräusche gehören zum Instrument!“
Diese Passion und die Liebe zum Detail übertrugen sich so schnell auf das Orchester, dass ein ganz intimes musikalisches Verhältnis entstand. Das spiegelte sich in einem gemeinsamen Ringen um besondere Klangfarben und einem der Musik dienenden Perfektionismus wider. So wurden aus ganz gewöhnlichen Anspielproben oft längere Angelegenheiten, die dann aber mit Sicherheit zu den unglaublich einmaligen Konzerten beitrugen. Egal ob Bamberg, Aschaffenburg, Ludwigshafen, Hamburg oder Berlin – jedes Konzert war mit einer ganz eigenen Magie beseelt.

Eine Fragestunde mit Jörg Widmann sollte uns noch näher zusammenbringen, denn er erklärte uns nicht nur seine musikalischen Ideen der #Messe#, sondern ließ uns ganz nah an sich, seine Denkweise und Gefühle heran. Wir sprachen über all die Gemeinsamkeiten zwischen den Komponisten unseres Programms, die seelischen Zustände, in denen sie sich befanden, und die Bezüge zu Jörg Widmann. Über die Probleme, die sich ergaben, als er die #Messe# komponierte: „Wie kann ich ein ‚Gloria in excelsis deo et in terra pax hominibus‘ vertonen, wenn es auf der Erde doch noch keinen Frieden gibt?“
Nach diesen Worten hörten wir alle Widmanns Musik mit ganz anderen Ohren und fingen an, über den Titel unserer Arbeitsphase zu diskutieren.

In einem Einführungsseminar konnten wir uns näher mit der Thematik und der einhergehenden Problematik auseinanderzusetzen. Dort haben wir Konzerteinführungen und ein Educationprojekt für einen Oberstufenkurs erarbeitet. Wir beschäftigten uns mit verschiedenen Formaten der Konzertvermittlung, und uns fiel schnell auf, dass das gar nicht so einfach war wie gedacht: Wie gestaltet man eine informative Konzerteinführung so, dass sie nicht vor lauter Input einschläfernd wirkt? Wie kam überhaupt unser Konzertprogramm zu Stande und wie vermittle ich zeitgenössische Musik einer Schulklasse?
Hilfe kam schnell – Ingrid Hausl leitete dieses Seminar und lockte uns erst einmal mit gruppendynamischen Spielen aus ihrem Clownsausbildungsrepertoire aus der Reserve. Nach einigen Übungen zur Stärkung unserer Bühnenpräsenz und der Stimme hieß es den Inhalt zusammentragen: Brainstorming zu den Werken war angesagt. Es fielen Begriffe wie: instrumentales Singen, Monodie, Schizophrenie, Schaffenskrise und Zweifel.
Interessant zu sehen war, was unsere Werke und Komponisten miteinander verbindet. Zum einen war es die Person Widmann, als Solist, Komponist und Dirigent, aber vor allem war es tatsächlich der Glaube an etwas, sei es auch nur die Kraft der Musik, die unsere drei Komponisten in dieser Konstellation verband: Der 2. Sinfonie Schumanns ging z. B. eine langjährige Schaffenskrise voraus. Erst mit dem Schreiben der Sinfonie schaufelte Schumann sich allmählich frei und begann sich wieder zu fühlen: „In mir paukt und trompetet es seit einiger Zeit sehr.“
Nun lag es an uns, ein Format zu finden, mit dem man das Konzertpublikum im Alltag abholen kann und gleichzeitig kurz, aber doch informativ auf das Konzert einstimmt. Nichts eignet sich dafür besser als eine szenisch dargestellte Sprachcollage. Eine Performance vor dem Konzert: kurz, prägnant und extravagant.
Dies hatte zur Folge, dass wir uns vor dem Konzert unter das Publikum mischten und uns mit einem Ruf des Wortes „Soloklarinette“ Gehör verschafften. Später rannten wir durch die Elbphilharmonie, Begriffe durch den Saal rufend, die den einzelnen Komponisten zugeordnet waren, sich steigernd zu einem gemeinsamen „Widmann-Höhepunkt“, abfallend durch die Worte des „Zweifelns“ und mündend in ein gemeinsames, im Chor gerufenes „CREDO!“
Ein außergewöhnliches Einführungsformat für die Konzerte war also gegeben. In der Schule versuchten wir, Nähe zwischen den Jugendlichen und den ausführenden Musikerinnen und Musikern durch ein Tourvideo herzustellen. Es sollte Einblick in unser Musiker- und Tourleben gewähren, um die Barriere zwischen Zuhörenden und Ausführenden zu beseitigen. Außerdem brachten wir den Schülerinnen und Schülern durch Klangbeispiele die unterschiedlichen Klangsprachen der Komponisten näher und lenkten die Aufmerksamkeit auf die modernen Spieltechniken und besonderen Instrumente in Widmanns Messe.
Am Abend besuchten die Jugendlichen unser Konzert in Ludwigshafen. Nach der Feedbackrunde wurde klar, dass das Hörerlebnis und der Konzertbesuch durch die Vorbereitung neue Perspektiven eröffneten.

Die Frühjahrstournee war für alle eine sehr intensive Arbeitsphase. Das Programm ging durch die Knochen und Orchester und Dirigent verschmolzen zu einem Ganzen. Man konnte die Komponenten gar nicht trennen, so sehr waren wir mit Dir verbunden, lieber Jörg. Das Wort Credo hat sich für alle, die dabei sein durften, mit prägenden Erfahrungen gefüllt.

39L FJIX9229

***
Julia Panzer
Violoncello

Top