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Feierliche Preisverleihung der Binding-Kulturpreise 2020 und 2021 in der Frankfurter Paulskirche. 

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Am 30. Oktober fand die feierliche Preisverleihung der Binding-Kulturpreise 2020 und 2021 in der Frankfurter Paulskirche statt. Neben der Jungen Deutschen Philharmonie, die die Auszeichnung 2020 erhielt, wurde der Verein ID_Frankfurt als Preisträger 2021 geehrt. Vorstandssprecher Justin Auer nahm die Urkunde im Namen des Orchesters von Gräfin Bergit Douglas, Vorstandsvorsitzende der Binding-Kulturstiftung, entgegen. In seiner Dankesrede sagte er: „Diese Auszeichnung bedeutete 2020 nicht nur eine wichtige finanzielle Unterstützung für uns, sondern sie gab uns auch für die kommenden Monate und anstehenden Herausforderungen viel Mut und Zuversicht!“
Die Laudatio wurde von Dr. Andreas Bomba gehalten, der in seiner Rede den Bogen von den Anfängen des Orchesters bis zum Status Quo schlug:

"Im Jahre 1979 begeben sich zwei noch jüngere Herren zum Verwaltungsdirektor der Frankfurter Oper, Ulrich Schwab. Schwab amtiert bereits als designierter Geschäftsführer der Alten Oper, er wird sich zwei Jahre später „Generalmanager“ nennen. Auf der Baustelle am Opernplatz wird kräftig gewerkelt, das alte, dem Tod durch Dynamiteinwirkung entgangene Haus nimmt sichtbar neue Formen an. 

Die beiden Herren also machen dem künftigen Manager einen Vorschlag. Er habe ja nun bald ein schönes Haus mit 2.400 Plätzen – aber kein Orchester. Das war natürlich geflunkert, denn immerhin gab es in Frankfurt schon das Museumsorchester und das Sinfonieorchester des Hessischen Rundfunks, die schon angekündigt hatten, ihre Konzerte künftig im neuen Konzert- und Kongresszentrum zu spielen. 

Die beiden Herren, es handelte sich um den Cellisten Karsten Witt und um Dieter Rexroth, damals Leiter des in Frankfurt ansässigen Hindemith-Instituts, die beiden Herren also ließen nicht locker. Sie konnten Schwab überzeugen, sich für dieses in Frage stehende Orchester einzusetzen. Den damaligen Kulturdezernenten Hilmar Hoffmann zu gewinnen, war nicht schwer. Der gewichtige Mann hatte im gleichen Jahr sein Buch von der „Kultur für alle“ veröffentlicht, dazu (zusammen mit dem Oberbürgermeister Walter Wallmann) die Gründung eines Architekturmuseums und eines Museums für zeitgenössische Kunst durch den Magistrat gebracht, den 150. Geburtstag des Kunstvereins, den 75. der städtischen Musikbibliothek und den sechzigsten der Volksschauspielerin Liesel Christ gefeiert, dem Geiger Yehudi Menuhin den Friedenspreis des deutschen Buchhandels und dem Dirigenten Christoph von Dohnányi die Goetheplakette der Stadt Frankfurt umgehängt. 

(Ich glaube, nebenbei, nicht, dass die beiden genannten Politiker jemals Kultur als „Freizeitvergnügen, auf das wir jetzt halt mal verzichten können“ bezeichnet hätten, wie wir es auf dem Höhepunkt der Pandemie von einem regierenden Landesfürsten südlich der Mainlinie gehört haben). 

Zurück zu dem Orchester-Projekt, zumal es das elektrisierende Wort „Jung“ im Titel trug. Und das kam so. 

1969 hatte der Deutsche Musikrat das Bundesjugendorchester gegründet. Ein Orchester für junge Musikerinnen und Musiker, die beim Wettbewerb „Jugend musiziert“ aufgefallen waren und nun einen Ort fürs Ensemblespiel suchten. Als fünf Jahre später die ersten Teilnehmer das 21. Lebensjahr erreicht hatten und satzungsgemäß ausscheiden mussten, fanden sie das gar nicht cool. Sie blieben zusammen und gründeten ein Bundes-Studentenorchester. Was man, obwohl im Prinzip damals wie heute dringend notwendig, nicht sein wollte: ein Trainingsort für Probespiele bei etablierten Philharmonien und Opernorchestern. 

Modellhaft wollte man spielen, selbstbestimmt, demokratisch abstimmen über Programme, Dirigenten, Solisten. Mehr neue Musik sollte erklingen, an neuen Orten, in neuen Sitzordnungen, und auch Musikvermittlung stand auf dem Wunschzettel. Darüber hinaus bekämen die Musikerinnen und Musiker Gelegenheit, sich in sämtlichen Formen von Ensemblespiel zu üben. Und nicht zuletzt verstand sich das Büro, das man zur Organisation des Ganzen nun doch brauchte, vor allem als Dienstleister für Initiativen aus dem Kreis der Musiker. Ein ehrgeiziges Unterfangen, nur zu verstehen aus dem Schub, den die 68er-Bewegung, die Etablierung neuer, engagierter und bisweilen durchaus konstruktiver Formen von Jugend- und Debattenkultur in die Gesellschaft vermittelt hatte.

1976 gewann das junge Orchester den Karajan-Wettbewerb und einen Vertrag bei der renommierten Deutschen Grammophon-Gesellschaft. Man gründete einen Trägerverein, die Strukturen professionalisierten sich. Nach Zwischenaufenthalten im westfälischen Witten und im badischen Freiburg etablierte sich die Junge Deutsche Philharmonie 1984 in Frankfurt am Main; 1986 zog sie in die neuerbaute Schirn, fünf Jahre später in ein aufgelassenes Fabrikgebäude in der Schwedlerstraße, in den damals kulturell noch schwer unterentwickelten Frankfurter Osten also – heute ein hippes Viertel mit allerlei angesagten Institutionen. 

(Vermittelt hatte das übrigens, liebe Gräfin Douglas, der passionierte Sammler von Schellack-Platten Alexander Loulakis, im Hauptberuf Getränke-Händler, der sich über dieses posthume Zusammenfinden von Brauerei und Musik gewiss gefreut hätte!)

Die Idee des demokratischen, selbstbestimmten Musizierens hält sich bis heute. Sie gehört zum Markenkern der Jungen Deutschen Philharmonie. Jede der drei großen Arbeitsphasen pro Jahr beinhaltet eine Mitgliederversammlung, wo über alle anstehenden Fragen debattiert und festgelegt wird, was die mit der Ausgestaltung im Detail befassten Ausschüsse tun sollen. Da viele Mitglieder des Orchesters, das dann doch auch eine Art Trainingslager für den Orchesternachwuchs geworden ist, diese Idee an ihre späteren Arbeitsplätze mitnehmen, hat sie Wurzeln geschlagen in den etablierten Institutionen. Die Zeit der tobenden Zampanos am Pult geht damit vorbei, das Gebaren von Managements, die eigensüchtige Entscheidungen gegen ihre Musiker treffen, ebenso. 

Die Zukunft der Orchester liegt im Teamwork, das alle hierarchischen, internen und externen Ebenen umfasst. So wird nachher hier nicht der Geschäftsführer, sondern der Orchestervorstand die Dankesworte an Sie richten. Die Orchesterzukunft, sogar schon die -Gegenwart ist zudem international. Zwar finden nur Studierende deutschsprachiger Musikhochschulen Aufnahme – es sind aber doch zwischen 20 und 25 % junger Leute, die aus anderen Ländern hierherkommen und nach dem Probespiel in die Junge Deutsche Philharmonie aufgenommen werden. Das bildet nicht nur die künstlerische, sondern auch die gesellschaftliche Realität aufs Schönste ab. Sogar die Quote von weiblichen und männlichen Mitgliedern ist in etwa paritätisch – was sich, so wurde mir versichert, halt so ergibt und ebenfalls der gesellschaftlichen Realität entspricht.

Wolfgang Amadeus Mozart, der um diese Zeit vor 231 Jahren in Frankfurt ein zumindest wirtschaftlich nicht sehr erfolgreiches Konzert gab und von dem wir gleich Musik hören, Mozart jedenfalls wäre froh gewesen, mit diesem Orchester zusammenzuarbeiten! 

Interessant, was aus der Idee des vielfältigen Ensemblespiels geworden ist. Es sind nämlich vielfältige Ensembles entstanden, die sich dann von der Jungen Deutschen Philharmonie ablösten und mutig eine freiberufliche Orchesterszene etablierten: das Freiburger Barockorchester, die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen, das Ensemble Resonanz in Hamburg; es gab auch mal eine Schlagzeug- und eine Bläsergruppierung. Die prominenteste Ausgründung ist sicher das Ensemble Modern. Es entstand bereits 1980, beschäftigt sich bis heute fast ausschließlich mit Neuer Musik und gründete 1987 gemeinsam mit der Jungen Deutschen Philharmonie ein gemeinsames Dach, die Deutsche Ensemble-Akademie. Das Ensemble Modern war übrigens der erste Träger des Binding Kulturpreises im Jahre 1996 – da schließt sich ein Kreis, zumal auch die meisten Mitglieder des jetzigen Kuratoriums nun Platz machen für jüngere Juroren. 

Auf ein besonderes, wegweisendes Projekt möchte ich kurz noch zu sprechen kommen. Es trägt den schönen Namen FREISPIEL und stand 2020 unter dem Motto „Alle Sinne für die Siebte“. Die siebte Sinfonie des letztjährigen Jubilars Ludwig van Beethoven wurde zum Ausgangspunkt für multimediale Performances, Choreographie, Videokunst, an ungewöhnlichen Orten und mit ungewöhnlichen Mitteln. Vielleicht ergibt sich ja heute, bei dieser Preisverleihung, ein erster Kontakt zu den Leuten von ID_Frankfurt, dem Träger des Binding-Kulturpreises 2021, die mein Kollege Peter Michalzik nachher belobigen wird. 

Das wäre doch keine schlechte Geschichte, ähnlich der von den beiden Herren, die vor 42 Jahren den designierten Generalmanager aufsuchten. Die Residenz der Jungen Deutschen Philharmonie in der Alten Oper beschränkt sich heute auf ein, zwei oder drei Konzerte im Jahr – zu einer Erfolgsgeschichte hat sich dieses ewig junge Zukunfts-Orchester dennoch entwickelt. Herzlichen Glückwunsch!"

Der Binding-Kulturpreis zählt zu den renommiertesten Kunstpreisen Deutschlands und würdigt herausragende kulturelle Leistungen in Frankfurt und dem Rhein-Main-Gebiet, die über die Region hinaus Aufmerksamkeit und Anerkennung finden. Er wird seit 1996 jährlich von der Binding-Kulturstiftung vergeben.

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