Im August 2022 trafen wir uns zu GOLDRAUSCH. Endlich wieder FREISPIEL! Für mich persönlich eines meiner Lieblingsformate bei der Jungen Deutschen Philharmonie. 

Schon in der Vorbereitung wurde mir schnell klar, dass dieses Projekt anders ist, denn es geht um viel mehr als "ur" darum, gemeinsam Stücke zu erarbeiten und am Ende ein Konzert zu spielen. War mir die Auswahl der Musikstücke zunächst etwas rätselhaft, so erschloss sich mir während des Projektes immer mehr, wie alles zusammenpasst, ineinandergreift und ein großes Gesamtkunstwerk ergibt. Die Kernidee des Programms: eine Stummfilm-Revue aus den 1920er Jahren nachzuempfinden und gleichzeitig den Bogen in unsere Gegenwart zu schlagen. Wir wollten mit dem Programm nicht nur „in ein Museum gehen“, sondern auch aktiv über aktuelle Themen unserer Zeit reflektieren. Die Programmzusammenstellung setzte sich mit Konsum, Geiz und Gier auseinander.  

Im Zentrum unseres Programms stand der Film Der Schatz mit Musik von Max Deutsch. Für diesen Zweck änderten wir als Orchester sogar temporär unseren Namen in „Junge Deutsche Kinophilharmonie“. Es war schon eine besondere Herausforderung, einen 80-minütigen Film ohne Pause zu begleiten. Das reizte sowohl körperliche Grenzen aus als auch dieKonzentrationsfähigkeit. Mit Frank Strobel hatten wir das große Glück, mit einem extrem versierten, sehr klaren und sympathischen Dirigenten zu arbeiten. Es war zunächst ungewohnt, dass es nun nicht nur uns Musiker:innen, den Dirigenten und die Musik gab. Als vierter Mitspieler kam der Film hinzu, und es galt, sich diesem starren, technischen Medium zu unterwerfen, das nicht auf uns reagierte. Somit war das Gefühl des Musizierens sehr anders, weniger frei, etwas gemeinsam im Momententstehen lassen zu können. Das war für viele von uns eine neue Erfahrung und auch eine Horizonterweiterung. Die Musik selbst ist als Filmsymphonie in fünf Akten komponiert, sehr leitmotivisch, mit einer reichen Harmonik und etwas kitschigen, aberwunderbaren Melodien. Ich hatte vorher noch nie ein so ein langes Stück erarbeitet, in dem das Grundmaterial zwar für jeden der fünf Akte anders kombiniert wird, aber oft wiederholt. Ich glaube, jeder fand am Ende seine besonderen Lieblingsleitmotive, auf die man sich freute und die man dann extra zelebrierte.  Es machte sehr viel Spaß, den Schatz zu spielen.

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Doch unser Programm war weit mehr als nur Max Deutsch und Der Schatz. Wie bei unserem Konzert beim Rheingau Musikfestival aus Versehen angekündigt wurde, „besteht das Programm des heutigen Abends aus zwei Pausen“. Vor der ersten Pause standen „the one and only“ Dimi Rompos und Texte von Bertolt Brecht im Mittelpunkt. In eigens für dieses Projekt kreierten Arrangements von Leonhard Kuhn haben wir zusammen mit ihr Musik von Kurt Weill, Hanns Eisler und Paul Dessau aufgeführt. Die Arrangements im Big Band Style zusammen mit Dimis Soul-Gesangsstil hatten ein ganz besonderes Flair. Mich haben an Dimi ihre starke Bühnenpräsenz und wunderschöne Stimme fasziniert. Außerdem habe ich mich jeden Abend aufs Neue auf die Jazz-Soli der Bläser gefreut.  

Mein persönlicher Lieblingsteil des Programms war dann aber der dritte. Unter dem Motto einer Nummern-Revue wurde es auch für uns als Orchester kreativ: Schon der Blick auf den Probenplan setzte sich deutlich vom Gewohntem ab. Es waren dort mysteriöse Punkte wie szenische Probe, Chorprobe oder Tanzprobe zu finden. Was es damit auf sich hatte, wurde klar, als wir Andrea Schwalbach trafen. Ja, wir spielten ein Orchester-Projekt zusammen mit einer Regisseurin! In der ersten Probe mussten wir uns erst einmal mit der Idee anfreunden, dass wir jetzt auch eine Rolle als Schauspieler:in haben. Eigentlich sogar viele Rollen: mal begeistertes Pantomime-Orchester, mal Parolen rufende Revolutionär:innen, mal schockverliebte Statist:innen, mal schlafend, mal tanzend … Uns in diese neue Aufgabe hineinzufinden hat gedauert. Bei der Dernière jedoch waren alle Hemmungen gefallen, und wir konnten gar nicht genug davon bekommen, laut und übertrieben zu sein.  

Dieser Teil hatte auch den stärksten Gegenwartsbezug. Während unserer Probenarbeit drehte Lara Sperber unter dem Motto „Konsumgeständnisse“ Videos von uns Musiker:innen. Darin beschrieben wir selbstkritisch eigene, alltägliche Erfahrungen mit unnötigem Konsum. Den so entstandenen Tonfilm haben wir auch musikalisch begleitet. Uns selbst auf einer riesigen Leinwand zu sehen, uns sprechen zu hören und dazu zu spielen, war eine kuriose Erfahrung. 

Ein weiteres Highlight war das schlafende Orchester und das anschließende „Abtanzen“ mit Instrumenten. Ich habe wohl noch nie auf der Bühne auf meinem Stuhl herumgehangen und vorgegeben zu schlafen!  In einem Mini-Crashkurs mit Lucy Flournoy lernten wir den Charleston-Grundschritt. Das war lustig, denn wenn ein ganzes Orchester auf der Bühne tanzt, hat man schon mal Sorge, dass diese unter ihm zusammenbricht. Für uns als Orchester bot dieser Teil auch die meiste Interaktion mit den beiden Schauspieler:innen Lucy Flournoy und Manfred Callsen. Manfreds pseudolustiger Witz von „den drei Maurern auf einem Dach“ vergesse ich nicht. Es war jeden Abend eine Herausforderung, ihm beim Erzählen zuzuhören und nicht zu lachen, um sich weiter schlafend stellen zu können. Zusammen mit Lucy wurden wir zu Revolutionär:innen, allerdings mit wankelmütiger Gesinnung. Wir schmetterten Parolen „für den Erhalt unserer Städte“ und „für den Fortbestand des goldenen Zeitalters“ und regten uns gemeinsam auf, wenn Lucy in der Rolle der konsumberauschten Frau wahllos unsere Sachen „stahl“. Hier waren wir mit ihr Schauspieler:innen. Andrea arbeitete unermüdlich daran, uns etwas starren klassischen Musiker:innen Schauspieltalent zu entlocken. Ihre enthusiastischen Ausrufe wie „Ihr seid schockverliebt!“ oder „Ich spiele mit euch!“ bleiben mir im Kopf und bringen mich noch immer zum Lächeln.

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Den Abschluss spielten wir in kleinerer Besetzung und ich schätze mich glücklich, Teil dieser Improvisations-Gruppe gewesen zu sein. Zu drei Stumm-Kurzfilmen spielten wir Musik von Uwe Dierksen, die er eigens für uns komponiert hatte, die aber auch Passagen enthielt, in denen wir selber kreativ werden konnten. In diese Impro-Passagen bauten wir viele Geräusche mit Spielzeugen ein: Schweinequieken, Hupen, Tischtennisbälle und jede Menge höchst theatralisches Zeitungspapier-Zerreißen – Spaß!

Unser Programm endete mit dem Alabama Song, den wir zusammen sangen. Das war jeden Abend aufs Neue ein besonderer Gemeinschaftsmoment.

Beim Rückblick auf das Projekt bleiben viele schöne Erinnerungen: Der tolle Konzertort in Berlin, das Theater im Delphi. Der Klicktrack für die Improvisationsgruppe, der immer bei irgendwem nicht funktionierte und für den es einen eigenen Technik-Check gab. Uwes Stimme im Ohr, der bei den Impro-Stücken die Takte einzählt. Oder die verirrte Wespe während einer Probe, die zehn Minuten jegliche Produktivität lahmlegte und alle Aufmerksamkeit bekam. Und nicht zuletzt zahlreiche Zitate aus Lucys und Manfreds Texten wie „Schwein! Biest! Teufel!“ oder „Ja, ja! Nein, nein! Bitte sehr!“, die an dieser Stelle vielleicht nur uns Beteiligte zum Lächeln bringen, aber in einem Rückblick nicht fehlen dürfen.

Das war FREISPIEL dieses Jahr! Ich habe großen Respekt vor allen, die dieses Projekt vorbereitet haben. Die Liebe fürs Detail und das Feingefühl, so ein komplexes und innovatives Projekt zu entwerfen, erscheinen mir enorm, und es war eine große Freude, dabei gewesen sein zu dürfen.

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Clara Franz/Violoncello

Fotos: Salar Baygan

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