Interview Reul Fein Wiedemeier Banner

Seit 25 Jahren fördert die Frankfurter Sparkasse die Neujahrskonzerte der Jungen Deutschen Philharmonie in der Alten Oper Frankfurt. Im Gespräch mit dem Musikjournalisten Stefan Schickhaus tauschen sich die drei Partner, Dr. Ingo Wiedemeier als Vorsitzender des Vorstands der Sparkasse, Dr. Markus Fein als Intendant der Alten Oper und Carola Reul als Geschäftsführerin der Jungen Deutschen Philharmonie, über diesen Konzerttermin aus – was ihn so speziell macht und warum man dabei nicht an Strauß-Walzer denken soll.

Stefan Schickhaus: Beim Stichwort „Neujahrskonzert“ denkt man erst einmal an den berühmten Traditionstermin in Wien. Und dann an seine zahllosen Klone mit vergleichbaren Johann-Strauß-Programmen. Was ist im Verhältnis dazu das 1822-Neujahrskonzert in der Alten Oper Frankfurt. Wie würden Sie die beiden Konzerte vergleichen? 

Markus Fein: Wien hat die Tradition, Frankfurt hat die Zukunft (lacht). Natürlich ist das zugespitzt, denn das Wiener Neujahrskonzert ist ein unerreichbares Original. Und außerdem schließt das eine das andere nicht aus: Sie können sogar beide Konzerte nacheinander erleben. Aber natürlich versuchen wir hier in Frankfurt das traditionelle Neujahrskonzert ein wenig auf den Kopf zu stellen. Ich finde die 1822-Neujahrskonzerte gerade darin ausgesprochen sympathisch. Und diese Idee des Neuartigen verbindet sich schlüssig mit einem Orchester, das sich zu Recht als „Zukunftsorchester“ versteht. Das 1822-Neujahrskonzert in der Alten Oper ist übrigens auch im Programm der Alten Oper ein besonderes Unikum: Es das einzige Konzert, in dem es Konfetti regnet. 

Ingo Wiedemeier: Wir sehen das 1822-Neujahrskonzert nicht als eine Konkurrenzveranstaltung, wir machen das auch nicht mit Blickrichtung auf Wien. Im Gegenteil, wir sind als Sparkasse regional ausgerichtet und fördern das Konzert daher auch konkret für die Bürgerinnen und Bürger der Region. Wenn ein Konzert wie dieses nicht da wäre, würde etwas fehlen – und wenn es es nicht gäbe, müsste man es erfinden. 

Paolo Carignani, der häufig die Junge Deutsche Philharmonie dirigiert und auch mehrfach das 1822-Neujahrskonzert geleitet hat, sagte mit Blick auf diesen Termin: „Der Tag braucht eine Utopie. … Utopie hat viel mit der Fähigkeit zu tun, neugierig zu sein.“ Das geht ja in Ihre Richtung, Herr Fein: Utopie als Zukunftshoffnung.

Markus Fein: Absolut. Jeder startet ja mit einer persönlichen Utopie-Liste in ein neues Jahr, und das gilt auch für den Kulturbetrieb im Allgemeinen und ein Konzerthaus wie die Alte Oper im Besonderen. Wir wollen jedes Jahr auch Neuland betreten; die Verantwortung dafür übernehmen, einerseits die Tradition zu pflegen, andererseits diese auch in die Zukunft zu führen. Die Neujahrskonzerte balancieren dies immer sehr geschickt aus und erfüllen damit wunderbar das, was wir für unser Haus insgesamt wollen.

Frau Reul, die Wiener Programmidee wäre mit „Alles Walzer“ ja schnell zusammengefasst. Wie lautet sie in Frankfurt? 

Carola Reul: Für die gewählten Mitglieder des Programmausschusses, der entscheidet, was das Orchester spielt, ist es insofern eine große Freude, das Neujahrskonzert zu programmieren, als dass man hier aus dem sonst gewohnten Programmschema Ouvertüre – Solokonzert – Sinfonie ausbrechen kann. Für die Musikerinnen und Musiker ist das Neujahrskonzert eine richtige Spielwiese, weil nichts vorbestimmt ist. Beim aktuellen Programm war schnell das Jahr 1822 als Ausgangspunkt gefunden, und da bot sich Schuberts „Unvollendete“ an, die im Jahr 1822 entstand. Von da aus wurde weitergedacht, und zwar ohne dass „Konventionen“ eine Rolle gespielt hätten. Fragen wie „Geht das denn?“ oder „Können wir das machen?“ stellt der Programmausschuss erst einmal nicht. Da ist es dann meine Aufgabe, als eine Art Korrektiv zu agieren – aber wenn nichts wirklich Erhebliches gegen die Werkauswahl spricht, wird sie umgesetzt. Von 1822 spannen wir den programmatischen Bogen bis 2022: Wir haben beim Schweizer Komponisten Daniel Schnyder ein Werk in Auftrag gegeben. Schnyder kommt ursprünglich aus dem Jazz- und Big Band-Bereich, verarbeitet aber auch Einflüsse von Bartók und Bruckner. Er hat für die Junge Deutsche Philharmonie ein Konzert für Orchester geschaffen, das, wie er selbst sagt, „mächtig daherkommt“. Also lautet die Programmidee: Anything goes! 

Wenn man mal nachschlägt, was schon alles gespielt wurde in den 25 Jahren des 1822-Neujahrskonzerts – von Hindemiths Ein Jäger aus Kurpfalz über Nino Rotas Filmmusik zu La strada, von Bernd Alois Zimmermanns Musique pour les soupers du roi Ubu bis zu Friedrich Guldas Konzert für Cello und Blasorchester, um nur ein paar wenige Titel zu nennen: Solches Neuland ist ja nicht auf den musikalischen Standard-Weltkarten verzeichnet. Woher bekommt der Programmausschuss seinen Input? 

Carola Reul: Da haben sicher auch die jeweiligen Dirigenten Einfluss genommen und Vorschläge gemacht. Wenn etwa Jonathan Nott ein Stück von Helmut Lachenmann vorschlägt, arbeiten sich die Mitglieder des Programmausschusses in das Werk ein, hören es durch und schauen sich die Partituren an. Dann entscheiden sie gemeinsam, ob ihnen das Werk gefällt und ob sie es ins Programm aufnehmen wollen. Auch die Frage, ob ein Werk technisch und musikalisch anspruchsvoll ist, spielt eine Rolle. Die Musikerinnen und Musiker wollen ja gefordert werden. 

Herr Wiedemeier, wenn Sie in ein Konzert gehen: Freuen Sie sich dann auf das, was Sie kennen, oder auf das, was Sie nicht kennen? Also im konkreten Fall des 2022er-Neujahrskonzerts: auf Schubert oder Adams? 

Ingo Wiedemeier: Man geht immer etwas schlauer aus einem Konzert heraus, als man reingegangen ist. Die Programmplanung muss schauen, dass sie alle Zuhörer abholt, die jüngeren wie die älteren und erfahreneren. Ein Potpourri wie jetzt das Neujahrskonzert ist da genau das richtige: Mit Franz Schubert hat man einen bekannten Namen, der zieht – doch bedeutet das nicht, dass man als Zuhörer von einem anderen Werk nicht noch mehr begeistert wird. 

Gerade junge Zuhörerinnen und Zuhörer werden womöglich von der Motorik eines John Adams mehr mitgenommen als von einem langsamen Schubert-Satz, Adams dürfte da deren Hörgewohnheiten deutlich mehr entsprechen.

Markus Fein: Ja, gerade der Adams trifft mit seinem urbanen Kompositionsstil sicher den Zeitgeist und passt damit sehr gut zu Frankfurt. 

Ingo Wiedemeier: Das ist ein Vorteil von Frankfurt: Hier sind wir sicher etwas weltoffener als in Wien.

Die Jahreszahl „1822“ ist aus dem Erscheinungsbild der Frankfurter Sparkasse ja etwas verschwunden. Beim Neujahrskonzert aber blieb sie erhalten. Warum? 

Ingo Wiedemeier (zeigt einen Werbe-Kugelschreiber mit entsprechendem Aufdruck): Die „1822“ ist uns schon noch ganz wichtig. Es zeigt, wo wir herkommen und wie lange wir schon am Markt sind, als eine der ältesten Sparkassen überhaupt. Früher war der Auftritt der 1822-Sparkasse gelb, als Frankfurter kennt man das – die Stadtsparkasse, mit der wir 1989 zusammengegangen sind, war schon immer rot, das ist auch für uns nun die bestimmende Farbe. Aber wir leisten uns die Individualität und bringen das „1822“ immer wieder unter, um zu signalisieren, dass wir keine Modeerscheinung sind, sondern eine 200-jährige Geschichte haben. Und eine Zukunft, obwohl ich jetzt und hier nicht von den nächsten 200 Jahren sprechen kann. Wir wissen, wo wir herkommen, und wir haben ein klares Ziel, wo wir hinwollen. 

Wird man die Zahl 1822 auch weiterhin auf den Plakaten für das Neujahrskonzert sehen? Wird die Unterstützung durch die Sparkasse auch in das nächste Vierteljahrhundert hineinreichen? 

Ingo Wiedemeier: Ich glaube, das ist nicht nur im Interesse von Frau Reul und Herrn Fein, sondern auch in unserem Interesse. Wir haben auf jeden Fall schon Ideen für die nächsten Jahre. Die Alte Oper ist nun einmal ein Aushängeschild für Frankfurt; da die Chance zu haben, mitzuarbeiten, freut uns sehr. Das wäre doch fahrlässig, sich davon zu verabschieden. 

Hat Kultursponsoring für eine Sparkasse einen anderen Stellenwert als, sagen wir einmal, für eine Privatbank oder ein anderes Wirtschaftsunternehmen? 

Ingo Wiedemeier: Wir sind ein regionales Institut, wir kümmern uns um die Gegebenheiten sozusagen vor unserer Haustür. Das macht einen großen Unterschied: Wir wissen genau, wo wir hingucken müssen, wo Bedarf ist. Wir haben die Verpflichtung, genau da, wo wir sitzen, in kulturellen, sportlichen und sozialen Themen unterstützend unterwegs zu sein. Unser Ziel ist nicht, mit Einzelmaßnahmen die Spitze zu fördern, wir sind vielmehr denkbar breit aufgestellt. Unser Sponsoring und unsere Spenden liegen im siebenstelligen Bereich und sind so mannigfaltig wie unsere Kunden. Das mag bei Spezialbanken ganz anders sein. Wir fokussieren uns auf Frankfurt und die Region – wenn’s den Menschen hier gut geht, geht es uns auch gut. 

Die drei Partner, die das 1822-Neujahrskonzert ausrichten, sind alle personell neu aufgestellt: Herr Wiedemeier, Sie wurden 2020 zum Vorstandsvorsitzenden der Frankfurter Sparkasse berufen. Frau Reul, Sie sind seit 2019 Geschäftsführerin der Jungen Deutschen Philharmonie. Herr Fein, Sie übernahmen die Intendanz der Alten Oper Frankfurt am 1. September 2020. Was bedeutet das für diesen Konzerttermin? An welchen Stellschrauben möchten Sie wie nachjustieren?

Markus Fein: Ich halte das Konzert für sich genommen für perfekt. Eine perfekte Form, eine perfekte Mischung, so ist das 1822-Neujahrskonzert eine Marke geworden. Da würde ich nicht dran schrauben wollen. Das begeistert ja auch die Menschen: Sie bekommen Exzellenz zu hören, und sie erleben, wie junge Menschen sich mit Verve geradezu ins neue Jahr schmeißen. Worüber man in der Zukunft noch nachdenken könnte: das Ereignis stärker in den sozialen Medien auszuspielen, also über Vermittlungsformate noch mehr Menschen partizipieren zu lassen. Wie bekommen wir das Ganze noch stärker kommuniziert, zum Beispiel hinein in die Mitarbeiterkreise der Frankfurter Sparkasse?

Ingo Wiedemeier: Ich denke auch, dass das Konzert ziemlich optimal aufgestellt ist, da muss man unsere Vorgänger an dieser Stelle wirklich loben. Für uns ist das eine Förderung junger Menschen, wie wir sie uns vorstellen. Sponsoringgelder sollen nicht in irgendwelche Profiabteilungen einfließen, sondern müssen dorthin, wo sie Nutzen bringen. 

Carola Reul: Und dafür sind wir auch besonders dankbar. Denn wir merken, dass die Förderung von Kindern und Jugendlichen durch entsprechende Förderprogramme oder Stiftungen gut abgedeckt ist, dass es für die Phase zwischen Studienanfang und Beruf in der Ausbildung aber kaum Angebote gibt. Eine Förderung, wie wir sie im Rahmen des 1822-Neujahrskonzerts erhalten, ist daher für die Musikerinnen und Musiker der Jungen Deutschen Philharmonie enorm wertvoll. 

Die Fragen stellte Stefan Schickhaus.
Fotocredit: Salar Baygan

 

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