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Seit Julian Steckel 2010 den ARD-Musikwettbewerb gewonnen hat, ist er einer der gefragtesten Cellisten des Landes. Beim 1822-Neujahrskonzert der Jungen Deutschen Philharmonie wird er ein Werk spielen, das das Violoncello zwischen Rock, Volksmusik und herrlichem Kitsch balancieren lässt: Das Konzert für Violoncello und Blasorchester, das Friedrich Gulda 1980 für Steckels Lehrer Heinrich Schiff geschrieben hat.

Herr Steckel, im Jahre 2010 haben Sie den ARD-Musikwettbewerb gewonnen, im Jahr darauf sind Sie dann bereits Professor für Violoncello an der Hochschule für Musik und Theater Rostock geworden. Das sieht ja so aus, als würden heutzutage die „Statusgrenzen“ völlig verschwimmen. Heute noch Prüfling, morgen schon Prüfer – heute Schüler, morgen gleich Lehrer.

– Es verschwimmt, das stimmt, und zwar vor allem im Studiengang Musik. Da kann man mit 18 ein Probespiel für eine Orchesterstelle machen, und keiner fragt nach deinem Alter oder Diplom. Bei Solistenkarrieren ist das noch extremer. Bei mir war der Wechsel auf die andere Seite wirklich ein nahtloser, weil ich einerseits relativ lange studiert habe, andererseits früh mich auf eine Professur beworben habe, um noch flexibler meine Solistenkarriere verfolgen zu können. Ich hatte zwar bereits eine Stelle als Solocellist beim Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin, doch lassen Orchesterdienstpläne nicht immer die nötige Freiheit bei der Zeitplanung. Dass nach dem ARD-Wettbewerb die Konzertanfragen derart sprunghaft ansteigen sollten, konnte ich da noch gar nicht wissen. Das ging von 30, 40 jährlich sofort auf 100 Konzerte. Das war toll, aber extrem viel Arbeit. Die Professur habe ich mittlerweile auf eine halbe Stelle reduziert. Das ist derzeit eine ideale Kombination.

Für die einen wäre eine solche Orchester-Solostelle eine Traumposition, für Sie war es eine Durchgangsstation. Wieso waren Sie sich sicher, diese Stelle nach nur einem Jahr nicht mehr zu brauchen?

– Es ist nicht so, dass ich die Sicherheit einer festen Stelle nicht zu schätzen wüsste. Konzertieren mit einem gewissen Sicherheitsnetz ist eine tolle Sache. Allerdings hätte ich die Orchesterstelle auch dann aufgegeben, wenn ich die Professur nicht bekommen hätte – die Kündigung hatte ich sogar vor der Zusage aus Rostock geschrieben. Denn zwei Wochen Orchester, dann zwei Wochen solistisch, das funktioniert nicht. Und ich finde es auch inspirierender, neben dem Konzertieren noch zu unterrichten.

Verhindert der Orchesteralltag also solistische Ambitionen?

– Der Markt ist da ganz streng. Als ich die Solostelle hatte, haben mich verschiedene Toporchester angerufen und gefragt, ob ich als Aushilfe auf ihren Solopositionen spielen möchte. Wenn Sie dann aber als Solist Agenturen haben, die Sie bei den gleichen Orchestern als Solisten anbieten, kann zu Konflikten kommen. Denn man ist in einer anderen Schublade abgelegt, aus der man erst wieder rauskommen muss. Früher war das anders. Ein Leonard Rose, ein János Starker oder Lynn Harrell konnten lange Jahre Solocellisten in Orchestern und dennoch Solisten sein. Es ist schade, dass das heute kaum mehr geht.

Solo-Cellisten-Stelle aufgegeben, Professor geworden, ins ganz große Solistengeschäft eingestiegen – und das alles als unter Dreißigjähriger. Ist das normal? Ist der Zug abgefahren, wenn man die dreißig überschreitet?

– Man steht, das ist wahr, unter einem gewissen Altersdruck. Man muss sich ja nur anschauen, wie jung die meisten Wettbewerbsteilnehmer sind. Der ARD-Wettbewerb ist da noch die nette Ausnahme, und trotzdem muss man sich heute fast schon entschuldigen, wenn man als über 25-Jähriger dort teilnimmt. Der Markt sucht sich die Jungen – das ist verständlich, aber auch schade. Alles wird sehr kurzatmig. Es ist leicht, eine Karriere zu starten, aber schwer, sie über Jahrzehnte aufrecht zu erhalten. Da bin ich fast schon froh, dass es bei mir erst mit knapp dreißig richtig losging.

Sie waren mehrere Jahre Solo-Cellist im Bundesjugendorchester. Wäre nicht die Junge Deutsche Philharmonie der nächste logische Schritt gewesen?

– Doch, auf jeden Fall. Aber das war die Zeit, als ich anfing, wirklich viel zu üben und erste Wettbewerbe zu spielen. Ich brauchte die Zeit einfach für mich.

Mit der Jungen Deutschen Philharmonie gestalten Sie jetzt das 1822-Neujahrskonzert und werden dort das Konzert für Violoncello und Blasorchester von Friedrich Gulda spielen, ein gelinde gesagt eigentümliches Werk. Mal Cello-Rock, mal Volksmusik, mal Jazz, mal liebes Menuett. Ein einziger großer Stilmix, geschrieben 1980 für Ihren ehemaligen Lehrer Heinrich Schiff. Hat er Sie mit dem Werk bekannt gemacht? Angeblich mochte er das Stück ja gar nicht – sagt Gulda zumindest.

– Als ich 2004 bei Schiff anfing, war ich oft in seinem Haus am Attersee. Am Seeufer gegenüber hatte bis zu seinem Tod im Jahr 2000 Gulda gewohnt. Zwei Charakterköpfe, nur der See dazwischen, sie haben seit Jahren kein Wort mehr miteinander gesprochen. Sie giften sich über den See hinweg an, so hatte ich mir das vorgestellt. Ich wollte natürlich wissen, warum sie sich verkracht hatten, aber Heinrich Schiff hatte mit dem Thema längst abgeschlossen. Ebenso wie mit Guldas Violoncellokonzert. Ich wollte die Noten sehen, aber Schiff wollte es keinesfalls unterrichten. Ich möchte dieses Stück auch nicht 20 Mal im Jahr spielen, obwohl es wahnsinnig viel Spaß macht.

Wobei das mit dem Spaß so eine Sache ist. „Das Missverständnis bei meinem Cellokonzert besteht darin, dass das Publikum glaubt, ich bin ein Spaßmacher“, hat Friedrich Gulda gesagt. Und man würde den Humor in diesem Stück mit der weit niedrigeren Humorstufe, dem banalen Witz, verwechseln. Wie können Sie als Interpret denn das unterscheiden: Humor und Witz?

– Ich finde nicht, dass es nötig ist, dafür in eine Humor-Definition zu finden. Es ist klar: Nicht alles ist lustig in diesem Konzert. Es gibt wilde, aggressive, gemeine Passagen, bärbeißige Stellen, bei denen die Post abgeht. Die Frage bleibt, ob wir im Menuett Guldas schiefe Grinsgrimasse sehen oder ob er das wirklich schön fand. Für mich ist das Stück ein Verkleidungsspaß. Und: Einen guten Witz muss man erst einmal auch gut erzählen. Es ist kein leichtes Stück.

Friedrich Gulda mit seinen bewussten Konventionsbrüchen, seiner Ironie, seinen Provokationen, seinem Käppchen und seinen Medaillons und seinen Nackt-Auftritten: Steckt irgend etwas davon auch in der Person Julian Steckel?

– Gulda war einer der Ersten im Klassikbetrieb, der richtig die Lust am Ärgern hatte. Einen gewissen subversiven Drang kann man als Musiker immer gebrauchen, auch wenn ich mich hier nicht mit Gulda vergleichen möchte. Sie können kein Fortissimo-Sforzato in einer Beethoven-Sonate spielen und es nur schön klingen lassen. Komponisten wie Beethoven haben ja nicht nur Gartenpflege betrieben, sondern auch lustvoll Zerstörung und Zertrampelung des Vorgartens. Aber ich muss dafür jetzt nicht nackt auftreten wie Friedrich Gulda. Diese äußerliche Exzentrik habe ich nicht in mir.

Auf Youtube kann man eine Aufnahme dieses Cellokonzerts mit Schiff als Solisten und Gulda als Dirigenten ansehen. Ein Kommentator schrieb dazu die Zeile: „what a monster of a cellist!“ – und meinte das jedenfalls absolut hochachtungsvoll. Was für eine Sorte Cellist muss man sein, um diesem Konzert gerecht zu werden. Ein monströser? Ein hemmungsloser? Jedenfalls kein reiner Schöngeist, oder?
 
– Man muss die Samthandschuhe ausziehen, auf jeden Fall. Ich erinnere mich an ein Interview mit Heinrich Schiff aus den 1970ern, in dem er auf sein Schwitzen angesprochen wurde. Er sagte: „Es gibt zwei Sorten von Cellisten: Die Metzger und die Schönlinge mit den langen Haare. Und dann gibt es noch die Schwitzer, das bin ich.“ Das Gulda-Konzert lädt jedenfalls dazu ein, sich zu verausgaben. Man braucht Kraft und muss sie einsetzen wollen.

Zum Schluss noch eine Preisfrage: „Unten brummt es, oben näselt es“ – wer hat mit diesen Worten das Violoncello charakterisiert? Tipp: Friedrich Gulda war es nicht.

– Das Zitat kenne ich natürlich. War es Brahms oder Dvořák? Ah, Dvořák! Wobei er sich selbst dann mit seinem h-Moll-Cellokonzert aufs Beste widerlegt hat. Und ich sage Ihnen was: Man muss es erst einmal so spielen, dass es nicht unten brummt und oben näselt!

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Stefan Schickhaus
Musikjournalist

Weitere Informationen zum 1822-Neujahrskonzert HIER

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