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Die Berge liebten sie beide: Johannes Brahms komponierte in den Sommermonaten am Thuner See oder in Bad Ischl, und Richard Strauss hatte in seiner Villa in Garmisch von seinem Arbeitszimmer den Blick auf Zugspitze und Wetterstein. Während Brahms jedoch lediglich ein „Alphornthema“ im Finale seiner 1. Sinfonie vorstellt, widmet Richard Strauss den Alpen eine vollständige Sinfonie, die Alpensinfonie op. 64, ein verwirrender Titel, handelt es sich hierbei doch um eine sinfonische Dichtung, seine letzte und umfangreichste dieser Art.

Ein Jugenderlebnis, über das der 15-Jährige an seinen Freund Ludwig Thuille schreibt, mag ihn zum Programm der Alpensinfonie angeregt haben. Zu einer Bergwanderung waren sie schon nachts um zwei Uhr aufgebrochen. Frühmorgens begannen sie den Aufstieg und erreichten den Gipfel fünf Stunden später. Beim Abstieg verstiegen sie sich und kletterten drei Stunden ohne jegliche Orientierung herum. Schließlich hatte sie „ein furchtbarer Sturm überfallen, der Bäume entwurzelte und uns Steine ins Gesicht warf.“

Schon 1902 arbeitete Richard Strauss an einer 4-sätzigen Sinfonie, die in Anknüpfung an Friedrich Nietzsches Werk „Der Antichrist“ ein heidnisches Natur-Gedicht werden sollte. Er betitelte die Sinfonie Der Antichrist. Eine Alpensinfonie. Der erste Teil der zunächst in vier Sätzen konzipierten Sinfonie gibt die Szenenfolge einer Bergbesteigung vor: Nacht und Sonnenaufgang, Aufstieg: Wald (Jagd) / Wasserfall (Alpenfee) / blumige Wiese (Hirte) / Gletscher / Gewitter / Abstieg und Ruhe.

„Mein Gott spricht durch mich selbst zu mir!“

Im Gegensatz zu Beethovens Schilderung der Natur als die göttliche Komponente der menschlichen Existenz in der 6. Sinfonie lässt der Nietzsche-Anhänger Strauss nur einen vergötterten, prometheischen Naturbegriff zu. In seinem ersten Bühnenwerk Guntram formuliert Strauss seine Philosophie: „Mein Leben bestimmt meines Geistes Gesetz. Mein Gott spricht durch mich selbst zu mir!“ Diese Sätze sind ohne die Philosophie Nietzsches kaum vorstellbar. Ein Bergsteiger und Grenzgänger unserer Tage, Reinhold Messner, formuliert sein Credo folgendermaßen: „Ich bin, was ich tue.“

1911 entschließt sich Strauss, die ursprünglich vorgesehenen Sätze II bis IV der Sinfonie zu streichen. Er beschreibt das weltanschauliche Programm der Komposition: „Ich will meine Alpensinfonie den Antichrist nennen, als da ist: sittliche Reinigung aus eigener Kraft, Befreiung durch die Arbeit, Anbetung der ewigen herrlichen Natur.“ Den Titel Antichrist Aufstieg und Abstieg in der Landschaft des Lebens Über den Alpen spielt die Junge Deutsche Philharmonie auf ihrer Frühjahrstournee mit Lawrence Foster, Rudolf Buchbinder und Jonathan Gilad hat er auf allen 10 Skizzenbüchern bis zur Reinschrift 1913 beibehalten. Was blieb von der Selbstfindung des Antichristen? Eine Kurve – Symbol für den Aufstieg und Abstieg in der Landschaft des Lebens.

Gipfel der Orchesterliteratur

Den anstößigen Titel Der Antichrist hatte er vor der Reinschrift getilgt, wohl mit Rücksicht auf seine Stellung als Preußischer Hofkapellmeister, und nur den Untertitel Eine Alpensinfonie stehen lassen. Diese führte er erstmals am 28. Oktober 1915 in der Berliner Philharmonie mit der Dresdner Hofkapelle auf. 107 Musiker benötigt er auf der Bühne und neben Wind- und Donnermaschine auch Kuhglocken und eine sehr gute Orgel. Nun macht sich die Junge Deutsche Philharmonie auf, diesen Gipfel der Orchesterliteratur zu erklimmen. Wenn die Musiker auch nicht bergsteigen müssen, so werden sie dennoch zu den Konzerten in Cremona, Mantova, Pistoia und Pisa über einen Alpenpass fahren.

Strauss bewunderte den 31 Jahre älteren Brahms

Die Konzerte beginnen jeweils mit dem 1. Klavierkonzert von Johannes Brahms. Richard Strauss war Brahms nur einmal 1885 am Hof in Meiningen begegnet, als Brahms dort seine 4. Sinfonie aufführte. Strauss war Assistent von Hans von Bühlow am Meininger Hof und bewunderte den 31 Jahre älteren Brahms, der zu dieser Zeit der bekannteste lebende deutsche Komponist war. Brahms hatte dort Richard Strauss’ f-Moll-Sinfonie gehört und ihn daraufhin zum Studium Schubertscher Tänze und deren einfach gestalteter Melodien aufgefordert.

Sein erstes Klavierkonzert in d-Moll op. 15 hatte Brahms schon viele Jahre vor diesem Treffen komponiert. Er begann im Oktober 1856 nach dem Tode Robert Schumanns, seines Förderers und verehrten Freundes, mit der Arbeit an der endgültigen Fassung. Das Werk basiert auf einer Sonate für 2 Klaviere, die er 1854 komponiert hatte. Anregungen darf man in Robert Schumanns Violinkonzert in d-Moll suchen, das Brahms 1853 im Hause Schumann gehört hatte. Die Kopfsätze der beiden Konzerte haben thematische Ähnlichkeiten. Der gesamte Gestus des Werkes ist symphonisch und somit untypisch für die Virtuosenkonzerte jener Zeit. Der Solist setzt erst nach 90 Takten ein. Ein sicherer Grund dafür, dass das Konzert bei den ersten Aufführungen 1859 beim Publikum durchfiel. Über den Adagio-Satz hatte Brahms am 30. Dezember 1856 an Clara Schumann geschrieben: „Auch male ich an einem sanften Portrait von dir, das das Adagio werden soll.“ Er hatte ehemals „Benedictus, qui venit in nomine Domini“ in die Klavierstimme geschrieben. Clara hatte in vielen Briefen immer wieder davon geschrieben, dass sie Johannes Brahms als von Gott gesandt empfand, geliebt von ihrem Ehemann und gekommen, um das Leid (Robert Schumann kommt 1854 in eine „Irrenanstalt“) mit ihr zu teilen. Damit könnte das Portrait von Clara gleichzeitig auf diese ihre Sicht der Dinge anspielen.

Unterwegs mit renommierten Künstlern

Auf der Frühjahrstournee begleiten die Junge Deutsche Philharmonie zwei hervorragende Pianisten, die sich mit ihren Auftritten abwechseln. Bei einem Großteil der Konzerte spielt Rudolf Buchbinder Brahms’ 1. Klavierkonzert. Er ist 1946 geboren und war mit 5 Jahren der jüngste Schüler der Wiener Musikhochschule. Bekannt ist er besonders als Beethoven- und Brahms-Spezialist, wobei die Arbeit mit den Originalquellen ihm besonders am Herzen liegt. So ist er im Besitz von Kopien der Autographe der Klavierstimmen und Partituren der beiden Klavierkonzerte von Johannes Brahms. Mit der Jungen Deutschen Philharmonie konzertiert er bereits zum dritten Mal.

In Pisa, Heidelberg und Frankfurt wird der junge Pianist Jonathan Gilad mit dem Orchester spielen. Der Franzose gewann als Elfjähriger den „Premier Grand Prix de la Ville de Marseille“ und viele weitere Preise. 1996 sprang er in den USA für Maurizio Pollini ein und begann damit seine große Karriere. Die 2006 mit Julia Fischer und Daniel Müller-Schott eingespielte CD mit Klaviertrios von Mendelssohn wurde mit dem „Diapason d’Or“ ausgezeichnet.

Dirigiert wird die Junge Deutsche Philharmonie von dem 1941 in Los Angeles geborenen Lawrence Foster. Er studierte bei Bruno Walter und Karl Böhm und war Musikdirektor des Aspen Music Festivals, der Sinfonieorchester von Barcelona und von Jerusalem. Gegenwärtig ist er Musikdirektor des Gulbenkian-Orchesters Lissabon.

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Nicole Schmitt-Ludwig / arbeitete als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Hindemith-Institut und war für die Alte Oper Frankfurt im Festival- Management und in der Dramaturgie tätig. Sie schrieb für „Musik in Geschichte und Gegenwart“ (MGG), Frankfurter Rundschau, verschiedene Konzertveranstalter, CD-Label und den Hessischen Rundfunk. Für das Ensemble Modern ist sie journalistisch und dramaturgisch tätig. Sie lebt als freie Konzertdramaturgin und Journalistin in Bad Homburg.

ÜBER DEN ALPEN

Frühjahrstournee 2009
Dirigent
Lawrence Foster
Solisten
Rudolf Buchbinder / Klavier
Jonathan Gilad / Klavier

Programm
Johannes Brahms Konzert für Klavier und Orchester Nr. 1 op. 15, d-Moll
Pause
Richard Strauss Eine Alpensinfonie, op. 64

Konzerte
FR 27.03.2009 Cremona (mit R. Buchbinder)
SA 28.03.2009 Mantova (mit R. Buchbinder)
SO 29.03.2009 Pistoia (mit R. Buchbinder)
MI 01.04.2009 Berlin, Philharmonie (mit R. Buchbinder)
DO 02.04.2009 Witten, Saalbau (mit R. Buchbinder)
FR 03.04.2009 Hamburg, Laeiszhalle (mit R. Buchbinder)
SA 04.04.2009 Heidelberg, Stadthalle (mit J. Gilad)
SO 05.04.2009 Frankfurt, Alte Oper (mit J. Gilad)