Mit dem Hörtipp bietet der Taktgeber seinen Lesern künftig einen speziellen Blick auf das bevorstehende Konzertprogramm der JDPh. Experten unterschiedlicher Wissenschaftsbereiche beleuchten eine musikalische Besonderheit aus dem Blickwinkel ihres Faches.

Ob der Gesang der Vögel eine Form von Musik ist, darüber streiten Wissenschaftler, Philosophen und Musikgelehrte bis heute. Unstrittig ist, dass zahlreiche Komponisten sich vom vielstimmigen Konzert in Wald und Flur haben inspirieren lassen. Besonders die schluchzend-schlagenden Motive der legendären Nachtigall finden sich in Werken großer Meister wie Ludwig van Beethoven, Frederic Chopin, Igor Strawinsky oder Johann Strauß. Und selbst den zeitgenössischen Liedermacher Wolf Biermann schlug einst der „sterbesüss-dunkelklare Blues“ einer Nachtigall in seinen Bann.

Einer, der sich wie kein zweiter von den Rufen und Gesängen der Vögel inspirieren ließ, war der Franzose Olivier Messiaen (1908-1992), musikalischer Avantgarde-Pionier und Hobby-Vogelkundler, der seiner Passion frönte und weltweit Vogelgesänge studierte, die er dann in seinen Stücken verarbeitete. Mitunter finden sich Motive von bis zu 25 verschiedenen Vogelarten in seinen Klavierwerken, „nicht mehr als illustrative Zitate, sondern als Strukturträger, als Hauptstimmen einer emanzipierten Polyphonie“ (H.-J. Schaal 2002). Während Kritiker ätzten, ihm fiele wohl nichts mehr ein, sagte Messiaen selbst dazu: „Die Vögel sind meine ersten und größten Lehrer gewesen… Ich habe also die Vögel gewählt, andere den Synthesizer.“ Sicherlich faszinierte ihn der Einblick in eine den meisten Zeitgenossen fremde Welt, den ihm das Studium der Vogelstimmen bescherte.

Wer Vogelstimmen zu deuten weiß, verfügt gleichsam über einen Röntgenblick, verbergen sich doch viele Vögel im Blätterdach eines Baumes oder im Gebüsch. Der Gesang eines Vogels ist gleichsam seine akustische Visitenkarte, denn jede Vogelart hat ihren spezifischen Gesang. Selbst so genannte „Zwillingsarten“, die sich äußerlich zum Verwechseln ähnlich sehen wie zum Beispiel manche Laub- und Rohrsänger, kann man anhand ihres unterschiedlichen Gesanges zweifelsfrei erkennen. So verschieden die Gesänge auch jeweils klingen, so überbringen sie doch stets zwei zentrale Botschaften. Einem männlichen Konkurrenten der gleichen Art signalisiert der Gesang: „Verschwinde, dieses Revier ist besetzt!“ Und dem Weibchen präsentiert sich der Sänger als veritabler Bräutigam. Wer am besten singt und das beste Revier besitzt, hat die größten Chancen, sich fortzupflanzen. Der artspezifische Gesang stellt sicher, dass es nicht zu Fehlpaarungen kommt. Wenngleich also eine Zaunkönigin niemals den Gesangskünsten eines Rotkehlchens oder einer Feldlerche erliegen wird, so verstehen es viele Vögel dennoch meisterhaft, Gesangsmotive anderer Vogelarten zu imitieren und in ihren Gesang einzubauen. Vermutlich dient dies dazu, dem Sänger eine individuelle Note zu geben und sich dem Weibchen als besonders attraktiv zu präsentieren. Zweifelsfrei erkennen sich Vögel am individuellen Gesang, in dem mitunter sogar technische Geräusche wie die Klingeltöne eines Handys eingearbeitet sein können. Bei manchen Arten kann man sogar regionale Dialekte unterscheiden.

Neben den komplexen Gesängen, die von den Männchen nur zur Brutzeit vorgetragen werden, verfügen Vögel über ein großes Repertoire unterschiedlicher situationsspezifischer Rufe, etwa Warn-, Bettel-, Angst- oder Flugrufe. Sie ermöglichen dem erfahrenen Vogelbeobachter faszinierende akustische Ein“blicke“ in die Welt der Vögel, die weit über den sinnlichen Naturgenuss hinausgehen. Und genau diese Faszination dürfte es gewesen sein, die Olivier Messiaen antrieb, die Laute der Vögel zu studieren, musikalisch zu bearbeiten und ihnen in seinen Werken ein musikalisches Denkmal zu setzen.
  

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Dr. Uwe Westphal / Der Autor ist Diplom-Biologe, Publizist und Vogelstimmen-Imitator. Er hat eine Audio-CD mit Rufen und Gesängen von 95 heimischen Vogelarten veröffentlicht (mit ausführlichen Erläuterungen und Merksprüchen), die er allesamt ohne Hilfsmittel nachgeahmt hat: „Vogelexkursion mit Uwe Westphal“ (Edition AMPLE, Germering 2007).

 

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