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Seine Augen glänzen beim Gedanken an die in Kürze bevorstehende Zeit mit der Jungen Deutschen Philharmonie. Zugleich sieht man ihm die Anstrengung einer nächtlichen Heimreise nach Berlin an und wohl auch den Gedanken an einen Berg Arbeit, der auf seinem Schreibtisch wartet. „Das Wenigste davon gilt dem Partiturstudium, für welches man den Beruf ja eigentlich ergriffen hat“, seufzt der 34-jährige Dirigent. So viel Kommunikation gehöre dazu, etwa mit Gewerkschaften, Sponsoren. „Letztlich geht es immer um Geld. Ob ich zum Beispiel eine weitere Stimmgruppenprobe finanzieren kann.“ Dabei spreche er allerdings von Profiensembles wie dem Spanischen Nationalorchester und -chor in Madrid, deren Chefdirigent er seit 2014 ist. Betrachtet man die Liste seiner Gastdirigate der letzten Jahre, wird es einem schwindelig. Chicago, Boston, London, Cleveland, das Royal Concertgebouw Orchestra und das Deutsche Symphonie-Orchester Berlin sind darauf zu finden, ebenso wie Rotterdam Philharmonic, das Orchestre National de France und die Göteborger Symphoniker. Im Moment richtet sich sein Blick auf die in wenigen Tagen bevorstehende Tour mit dem NHK Symphony Orchestra durch Japan. Das Debüt mit dem Philadelphia Orchestra steht später in diesem Jahr bevor, Wiedereinladungen nach Stockholm, Kopenhagen, München, Wien und Seoul hat er außerdem angenommen – und das Frühjahrsprojekt mit der Jungen Deutschen Philharmonie, auf das er sich besonders freut.

Schon 2013 hat David Afkham mit dem Ensemble gearbeitet, in einem Sommerprogramm die unglaublich positive Energie und „das Wollen“ der Musiker kennengelernt. „Für unsereinen ist es wunderbar, mit einem Klangkörper alles ausprobieren zu können. In diesem Orchester gibt es nicht ‚wir können nicht‘ oder ‚wir wollen nicht‘, sondern es kommt einem von fast 100 Individuen die Begeisterung entgegen, etwas zu wagen.“ Diese Offenheit schätze er auch an anderen Orchestern mit jungen Musikern, die er in den letzten Jahren habe leiten dürfen, sagt David Afkham. Dabei erinnert er sich an seine eigene Zeit als Geiger in Jugendorchestern. „Diese Momente, wenn man nach den Stimmproben merkt, wie etwas musikalisch zusammenwächst. Wenn man in die erste Tuttiprobe kommt, und plötzlich klingen die Holzbläser, und die Posaunen tönen über den eigenen Kopf hinweg. Das ist eine Energie, von der man als Musiker sein ganzes Leben lang zehrt, dieses gemeinsame Entdecken.“
Als Dirigent erlebt er diese Energie gebündelt, und in der Jungen Deutschen Philharmonie durch deren strukturelle Selbstbestimmung sogar noch verstärkt. Das erleichtere seine Aufgabe, erklärt David Afkham, als Dirigent Medium zwischen Partitur, Musikern und Publikum zu sein und das Ensemble voranzubringen. Um mit vielen höchst musikalischen und erfahrenen Künstlern zu einer Stimme und Richtung, zu einem Atem zu finden, sind Entscheidungen notwendig, die der Dirigent zu treffen hat. Manchmal unpopuläre. „Meine Erfahrung ist, je stärker ein Orchester schon intern strukturiert ist, Eigenverantwortung zu übernehmen, desto besser klingt es. Es kommt nicht von ungefähr, dass Klangkörper wie die Berliner Philharmoniker oder die Wiener Philharmoniker zu den besten der Welt gehören.“ Als musizierendes Individuum nicht nur den Klang mitzugestalten, sondern sich aktiv und lebendig in den Gesamtorganismus Orchester einzubringen, empfindet Afkham als bedeutend. Und jede Art von Lebenserfahrung. „Man braucht diese Inspiration. Wie kann ich Bruckner dirigieren, wenn ich nicht weiß, wie es ist, auf einem Berg in den Alpen zu stehen, ins Tal zu blicken und den Horizont zu erleben? Ich dirigiere anders, wenn ich Bescheid weiß über Schostakowitsch und seine Zeit und dabei heute Parallelen entdecke.“
Der Jungen Deutschen Philharmonie bringt er diesmal drei französische Komponisten näher, deren Werke miteinander verbunden sind. „Vielleicht kann man sagen, es geht dabei um Erlösung oder auch um Visionen, sogar Wahnvorstellungen. Es gibt aber nicht nur einen roten Faden, sondern verschiedene Berührungsebenen.“ Viele davon seien intellektuell, andere im Gefühl zu finden. „Die Verbindung von Kopf und Herz ist mir immer wichtig.“ Die Vermittlung eines Beziehungsgeflechtes ist David Afkham auch im Gedanken an den Projektcharakter der Arbeit mit jungen Musikern viel wichtiger als ein musikalischer Lehrplan mit den Lerninhalten A, B und C. Berlioz’ Symphonie fantastique op. 14 stehe hier zunächst als wegweisendes, revolutionäres Werk und entwickle Farben und komplexe Rhythmen. Henri Dutilleux beziehe seine Ausdrucksideen in Tout un monde lointain aus Beaudelaires Gedicht „Les Fleurs du mal“, Messiaen schöpfe die Inspiration für seine sinfonische Meditation Les offrandes oubliées wie stets aus der christlichen Religion. Als Überschrift lasse sich aber weder Farbenreichtum, noch Parfum oder Literatur nennen. „Das ist die Schönheit, in diesem Programm findet sich dies alles, man kann es nicht auf nur einen Aspekt reduzieren, weil es so reich ist“, lächelt er. „Farben und Düfte stehen fast sinnbildlich für die Leichtigkeit dieser Musik, in der man den Klang fast riechen und fühlen kann.“ Literatur passe auch nicht ganz, bei Héctor Berlioz gebe es eher eine fantastische Vorstellung von einem Opiumrausch als eine konkrete textliche Vorlage. „Selbst die Überschrift Programmmusik wäre falsch. Berlioz hat den Begriff geprägt, aber Dutilleux entzieht sich dem, will sein Cellokonzert eher als Inspirationsquelle verstanden wissen. Das gefällt mir so, man kann diese Musik von verschiedenen Seiten beleuchten, so reich sind die Werke. Verschieden und trotzdem miteinander verbunden.“ Teil dieser großen Verknüpfung ist auch jeder, der die Musik spielt oder hört. So stellt es sich David Afkham jedenfalls vor. Als Dirigent setzte er diese Verbundenheit ins Licht, er glaube fest daran. „Ich rede jetzt nicht davon, dass man plötzlich verklärt aus einem Konzert herauskommt – obwohl es auch das gibt. Vielleicht nimmt jemand einen großen philosophischen Gedanken mit nach Hause, ich bin aber schon glücklich, wenn irgendetwas bewegt wird.“  
Die Werke, mit denen sein Kopf und Herz gleichermaßen eng verbunden seien, habe er in seiner Kindheit kennengelernt. Fünf Geschwister waren sie zu Hause, in Freiburg, alle haben Musikunterricht bekommen. „Es war immer Musik bei uns, immer spielte jemand Klavier oder Geige. Wir Geschwister haben gegenseitig unsere Konzerte besucht, unseren Proben zugehört. Zum Beispiel habe ich als Junge eine Symphonie fantastique mit dem Landesjugendorchester Baden-Württemberg gehört, in dem mein Bruder mitspielte, das ist eine bleibende Erinnerung.“ Man merke ja erst später, welches Fundament in der kindlichen Prägung gelegt worden sei. „Mein musikalisches Repertoire liegt in der Klassik begründet, die ich damals hörte und spielte. Beethoven, Haydn, Mozart, Schubert.“ Die Afkham-Geschwister stehen sich auch heute sehr nahe, selbst wenn sie nicht mehr zusammen musizieren. Davids Bruder Micha ist Bratschist bei den Berliner Philharmonikern. „Wenn ich in Berlin dirigiere, versucht er zu kommen. Meine Schwester in München tut dasselbe dort, ebenso meine älteste Schwester in Hamburg, die Geigerin ist.“ Während seines Musikstudiums verschoben sich die Einflüsse hin zu Mentoren, allen voran Bernhard Haitink, dessen erster Stipendiat Afkham nach seinem Studium in Weimar wurde. „Auch alle Dirigenten, die ich erlebte, als ich Assistent beim Gustav-Mahler-Jugendorchester war, zählen dazu. Dort habe ich mit Daniele Gatti, Antonio Pappano, Herbert Blomstedt, Sir Colin Davis gearbeitet. Mit allen natürlich nur für kurze Zeit, aber sie haben mich sehr geprägt.“ Zu Beethoven und Brahms finde er immer sofort eine Verbindung, anders als zu Komponisten, die er erst später entdeckt habe. Einzelne Werke seien dabei wiederum wie Pflanzen, deren Samen man setzt, die man immer wieder neu gießt und pflegt und die mit einem wachsen und immer tiefer ergründet werden. „Mein Problem ist inzwischen, dass ich sehr vieles liebe. Manchmal ist es mir gar nicht bewusst, aber mein Repertoire ist in den letzten Jahren enorm gewachsen.“ Durch seine Aufgabe in Madrid ergibt sich das ganz natürlich, etwa mit einem Mahler-Zyklus oder einem Brahms-Zyklus, „mit denen ich dann jedes Jahr um eine oder zwei Symphonien voranschreite“. Jede Saison kommen eine bis zwei halbszenisch inszenierte Opern hinzu, ein Genre, das er bis vor wenigen Jahren noch nicht auf dem Pult hatte. „Letztes Jahr habe ich in Madrid meine erste Elektra dirigiert – und Blut geleckt! Im Jahr davor war ich mit der Staatskapelle Berlin und Maestro Daniel Barenboim in Japan, als sein Cover bei einem Bruckner-Zyklus. Plötzlich musste ich alle Bruckner-Symphonien draufhaben.“ Ein Wahnsinn? Nein, ein Geschenk!

Einmal mehr hebt David Afkham den Blick und scheint nach innen zu lauschen. „Musik ist so mit der eigenen Existenz verbunden, dass man beides nicht trennen kann. Jeder Eindruck des einen ist wieder neue Inspiration für das andere. Wenn ich nur hinausgehe und einen Vogel sehe oder wie gerade in New York ein Museum besuche – sofort wird meine Musik davon beeinflusst. Deshalb rate ich jedem, der mich fragt, wie er dort hinkommt, wo ich als Dirigent mittlerweile bin: Geh hinaus, sei offen für alles und nimm es auf wie ein Schwamm. Denn sonst hat man nichts, was man in Form einer musikalischen Aussage mitteilen könnte.“
Wie David Afkham über sein berufliches Leben erzählt, klingt nach allem anderen als Routine. Und doch schleicht sie sich ein. „Manchmal stehe ich vor einem Orchester und bin nicht aktiv genug, dann funktioniert plötzlich nichts mehr. Wir Dirigenten müssen ständig geben!“ Gerade deswegen freut er sich auf die Arbeit mit der Jungen Deutschen Philharmonie, als eine Art persönlicher Energieaustausch. „Sehen mit immer wieder neuen Augen und dieses Entdecken bekommt man hier 2000-fach zurück!“

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Julia Kaiser
Journalistin

WAHN UND WIRKLICHKEIT – Frühjahrstournee 2018