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Wilson Ng, mit Paul Hindemiths Symphonie Mathis der Maler beginnt am 13. Januar das Neujahrskonzert der Jungen Deutschen Philharmonie. Hindemith hat ja – zumindest in Deutschland – durchaus den Ruf, ein Komponist für „Experten“ zu sein: nicht ganz leicht zugänglich und vielleicht ein wenig zu akademisch. Teilen Sie diese Ansicht?

– Ich kann sie nachvollziehen, aber ich teile sie nicht. Das hat sicher auch damit zu tun, dass ich Hindemiths Musik schon lange kenne. Bevor ich mich in erster Linie dem Dirigieren zuwandte, habe ich Flöte studiert und in diesem Zusammenhang auch Hindemiths Flötensonate und sein Bläserquintett gespielt. Ich fand diese Kompositionen sehr interessant und eigentlich ganz und gar nicht akademisch. Zugegeben, es ist eine manchmal etwas sperrige Musik, das stimmt. Aber sie ist zu jeder Zeit absolut musikalisch gedacht und sehr schlüssig in ihrer Machart. Das Attribut „musikantisch“, das gern auf Hindemith angewandt wird, ist dabei für mich absolut nicht negativ konnotiert. Denn ein guter Musikant braucht vor allem eines: eine hohe Musikalität. Und die ist in Hindemiths Musik immer vorhanden, selbst noch da, wo es auf den ersten Blick vermeintlich etwas „akademisch“ zugeht.

Die Symphonie Mathis der Maler zählt zu Hindemiths bekanntesten und meistgespielten Kompositionen, sicher nicht zuletzt auch deshalb, weil sie sich auf eines der bedeutendsten Werke der Renaissancemalerei bezieht: auf Matthias Grünewalds Isenheimer Altar. Wie würden Sie Hindemiths Zugriff auf diese Arbeit beschreiben? Salopp gefragt: Vertont er Grünewald?

– Ja und nein. Diese Musik hat einen sehr erzählenden Charakter; ich sage bewusst „erzählend“ und nicht „bildlich“. Meiner Meinung nach ging es Hindemith weniger darum, Grünewalds Malerei detailgetreu in ein musikalisches Gemälde zu überführen, als vielmehr drei Narrative aus den Bildern zu lösen und sie mit musikalischen Mitteln auszugestalten: Es beginnt mit dem Engelskonzert, das eine sehr feierliche, erhabene Stimmung transportiert; danach wird in der Grablegung eine tiefe, existenzielle Trauer in einen regelrecht himmlischen Glanz überführt. Die Versuchung des heiligen Antonius entfaltet schließlich eine dermaßen lebendige Klanglichkeit, dass die Geschichte, die da erzählt wird, eine äußerst starke Eigendynamik entwickelt. Da hat man die grausigen Gestalten, die den verängstigten Heiligen bedrängen, ganz plastisch vor sich – auch wenn man Grünewalds Bild noch nie gesehen hat. Das war übrigens auch bei mir der Fall: Ich kannte zuerst die Musik und habe mich erst jetzt, im Zuge meiner Vorbereitung auf das Konzert, mit dem Isenheimer Altar befasst. Das sind wirklich großartige Bilder! Ich hoffe sehr, dass ich es schaffe, mir während meiner Zeit in Frankfurt das Original in Colmar anzuschauen.

Mit einer ganz anderen Form der Bildhaftigkeit hat die Musik von Alexander Skrjabin zu tun, dessen Poème de l’Extase am 13. Januar auch auf dem Programm steht. Skrjabin hat sich intensiv mit Synästhesie beschäftigt und die Konstruktion eines „Farbenklaviers“ angeregt. An eine etwas andere, aber ähnlich sinnlich-psychische Art der Wahrnehmung hat wohl der amerikanische Schriftsteller Henry Miller gedacht, als er über das Poème de l’Extase sagte, es sei wie „ein Eisbad, Kokain und Regenbogen“ ...

– ... was eine perfekte Beschreibung dieser Musik ist. Tatsächlich habe ich schon mehrfach den Vorschlag gehört: „Du musst Drogen nehmen, um dieses Stück wirklich zu verstehen!“ Da mag vielleicht etwas dran sein, das kann ich nicht beurteilen – aber ich bin ohnehin davon überzeugt, dass man bei dieser Musik auch ohne Drogen in eine Art Rauschzustand gerät. Dieses Stück ist so unglaublich intensiv, und Skrjabin macht das auch immer wieder durch Vortragsbezeichnungen deutlich – dann heißt es in den Noten etwa „très parfumé“ oder „presque en délire“. Zugleich ist es erstaunlich, wie sehr der optische Eindruck der Partitur zunächst einmal gegen dieses Ekstatische spricht. Das sieht alles sehr geordnet, klar und strukturiert aus – regelrecht aufgeräumt. Das hat mich überrascht, weil ich, nachdem ich das Poème zum ersten Mal gehört hatte, eigentlich eine extrem komplexe Notation erwartete. Aber genau das Gegenteil ist der Fall. Im Grunde ist das Werk ein stetiges, nur von einer kurzen Coda unterbrochenes Crescendo. Also im Grunde eine schlichte, nachvollziehbare Form. Was darin allerdings an eruptiver Kraft und harmonisch-rhythmischen Finessen steckt, ist unglaublich.

Also in gewissem Sinne das Paradox einer „akkuraten Ekstase“?

– Ja, das hat durchweg diese Ambivalenz. Einerseits ist das Megalomanische dem Poème de l’Extase – und überhaupt dem Werk von Skrjabin – ganz klar eingeschrieben. Ich meine, er hielt sich selbst für so etwas wie einen Messias. Das spricht nun nicht gerade für einen bescheidenen Charakter. Aber dennoch versteht er es, seine visionären Ideen in einer geradezu nüchternen Präzision zu Papier zu bringen. Er weiß ganz genau, was er will.

Am Ende des Neujahrskonzerts 2019 steht mit der Orchesterfassung der Bilder einer Ausstellung gewissermaßen ein Klassiker des Konzertrepertoires, für den gleich zwei Komponisten verantwortlich zeichnen: Modest Mussorgski ist der Schöpfer, Maurice Ravel der Bearbeiter. Wie gestaltet sich hier das Verhältnis von Original und Adaption?

– Was Ravel mit Mussorgskis Klavierstück macht, könnte man vielleicht als eine Art von Ausstaffierung beschreiben. Er betrachtet das Vorgefundene aufmerksam in allen Details und überlegt sich, wie man es noch effektiver zur Geltung bringen könnte. Dabei geht er sehr behutsam vor – nichts wird entstellt oder in ein anderes Licht gerückt. Auch wenn er seine eigene Handschrift schon hörbar einbringt, beweist Ravel eine große Sensibilität für Mussorgskis Musik. Überhaupt hatte Mussorgski ja eine große Bedeutung für Ravel, wie er immer wieder betonte.

Er hat seine Musik sogar als „révélation“, als „Offenbarung“ bezeichnet. Aber gewinnt mit Blick auf Bilder einer Ausstellung nicht zuweilen der Komponist – bei aller Bewunderung – Oberhand über den Arrangeur? Und schlägt sich, mit Blick auf den Stil von Ravels Instrumentierung, nicht auch die zeitliche und räumliche Distanz nieder? Mussorgski notiert ja als Vortragsbezeichnung „nel modo russo“, „auf russische Weise“, – wird bei Ravel daraus ein „modo francese“, „auf französische Weise“?

– Nein, das würde ich nicht sagen. Im Vergleich mit anderen Orchesterwerken Ravels – etwa La Valse oder Ma mère l’oye – ist Bilder einer Ausstellung viel weniger impressionistisch. Das Ganze ist zwar sehr transparent instrumentiert und in diesem Sinne schon ein „echter“ Ravel, aber zugleich bewahrt seine Bearbeitung die Charakteristika des Originals: auch dieses Kantige und Schwere, das Mussorgski hier komponiert hat. Natürlich hängt es auch von der Interpretation ab, welcher Akzent vorherrscht – ein russischer oder ein französischer. Meine Lieblingsaufnahme ist die mit Waleri Gergijew und den Berliner Philharmonikern: Ihm gelingt es absolut meisterhaft, diese Balance zwischen den Diktionen zu halten.

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Dr. Michael Rebhahn
Redakteur für Neue Musik bei SWR2

Weitere Informationen zum 1822-Neujahrskonzert

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