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Stefan Schickhaus: Herr Schnyder, Ihr neues Werk ist angekündigt als Konzert für Orchester. Wird man sich dabei erinnert fühlen an die beiden berühmten Konzerte für Orchester von Bartók und Lutoslawski?

Daniel Schnyder: Ja, auf jeden Fall. 

Diese beiden Werke verlangen einiges an Orchestervirtuosität ab, das Orchester ist das Solisten-Kollektiv. Wird auch bei Ihnen das Tutti mehr bzw. individueller gefordert als etwa in einer Sinfonie?

Ja; auch exotischere Instrumente wie Tuba und Bassposaune oder Kontrafagott werden gefordert und auch individuell wahrgenommen. Seit Bartók und Lutoslawski haben Orchesterinstrumente wie diese ungemein Fortschritte gemacht, das wird vom heutigen Standard-Konzertrepertoire überhaupt nicht reflektiert. Von dem her wird es sicher viele Überraschungen geben.

Die Junge Deutsche Philharmonie ist ein Studierenden-Orchester. Nehmen Sie darauf Rücksicht? Oder verlangen Sie stählerne Nerven, etwa bei offenen Blechbläser-Soli? 

Meine Musik verlangt eine andere Art der Konzentration als, sagen wir mal, eine Bruckner-Symphonie, wo der Solohornist zuerst eine ZEN-Meditation benötigt, um den Anfang nicht zu verpatzen (wobei ich Bruckner liebe, das ist also keine Kritik an ihm!). Oder nehmen Sie die sportliche Konzentration bei Adams, wo man wie Charlie Chaplin in Modern Times Schrauben anziehen muss und aufpassen muss, dass das Fließband nicht abhaut.
Individuell wird natürlich instrumental in meinem Werk viel mehr gefordert, und die Rhythmik ist sehr viel komplexer als bei einer klassischen Sinfonie. Den jungen Musiker:innen wird das aber dennoch alles viel leichter fallen als den älteren Semestern, da die Musik aus dem Jetzt heraus gedacht ist.
Ich habe das ja weltweit beobachtet: Was der älteren Generation im Durchschnitt größte Mühe bereitet, ist für die Jungen, wenn man das mal vorgesungen und vorgeklopft hat, ein Leichtes. In der Musik ist es oft so, dass das Einfachste das Schwierigste und das Schwierigste das Einfachste ist. Eine Melodie schön zu spielen ist das Schwerste – und je einfacher die Melodie, desto schwieriger wird es. Also schwer kann auch leicht sein. Musik entzieht sich der Physik.
Aber zur Frage: Ja, es hat sicher einige instrumentale Stellen in dem Werk, die noch vor 60 Jahren als unspielbar gegolten hätten. Das ist die Idee eines „Konzerts für Orchester“: Push the envelope, wie der Amerikaner sagt! Sprenge den Rahmen! 

Werden wir dem Jazz begegnen?

Ja, sicher. Jazz ist ein Baustein der heutigen Musik, der leider von Klassikern kaum verstanden und reflektiert werden kann – was sich unbedingt ändern muss. Jazz ist hier nun eingewoben, nicht so offensichtlich; andere Farben, eben Bartók oder auch maurische Musikeinflüsse werden offensichtlicher sein. Vielleicht auch Ravel? Oder auch Momente der Latin Music, Funk Music oder R&B werden aufleuchten. All dies gehört zu unserer musikalischen Realität von heute. Ich kann und will nicht ganze Teile der Musikwelt ausgrenzen. In meinem Garten wachsen viele Blumen, nicht nur Enzian. Das fordert natürlich das Orchester auch stilistisch sehr.

Ihr Werk ist eingebettet in ein „politisches“ Programm. Mal abgesehen von Schuberts „Unvollendeter“ haben alle Werke einen wie auch immer gearteten politischen Background (Ouverture 1812, The Chairman Dances, Fanfare for the Common Man). Fühlt sich Ihre Musik da wohl in dieser Umgebung?

Ja toll! Coplands Stück ist zwar super knallhart für das Blech, aber ganz toll für das Publikum, for the common man. 1812 ist großes Geknalle, großes Kino und wird sicher lauter als mein Concerto; meine Komposition ist etwas schlanker, Napoleon war fetter. Adams ist nochmals was anderes. Seine Musik kommt aus amerikanischer minimal music und pop music und ist mit meiner Musik nur marginal verwandt. Ich hab fast keine Einflüsse von minimal music, mechanischer Musik, Maschinenmusik – trotzdem sind gewisse Farben in der ‘amerikanischen’ Orchestration bei Adams ähnlich wie in meinem Konzert. 
Vielleicht bildet der Adams den größten Kontrast zu meinem Konzert; Adams ist fast immer Kollektiv, und bei mir ist die Musik eher individuell, konzertant, basierend auf „hörbarer Einzelleistung“. Ich bin mehr Faden, Adams ist Teppich. Wenn bei mir der Faden reißt, ist’s kaputt – wenn bei Adams ein Faden reißt, ist der Teppich immer noch intakt. 

Das Interview führte Stefan Schickhaus.
Fotocredit: Daniel Schnyder

 

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