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Ein Zusammenkommen zweier Kontinente

Nach dem Beschluss der Römischen Kirche, die Neue Welt zu evangelisieren, trafen im Laufe des 16. Jahrhunderts eine Vielzahl christlicher Orden in den Kolonien Amerikas ein. Sie errichteten Missionen überall auf dem nord- und südamerikanischen Kontinent. Waren die Missionare einmal in Kontakt mit den Einheimischen getreten, dauerte es oft nicht lang, bis sie sahen, dass die Indios durchaus empfänglich für europäische Musik waren. Um den Menschen den christlichen Glauben näherzubringen, wurde europäische kirchliche Musik mit einheimischer kombiniert. Damit war der Grundstein für eine Beziehung zwischen europäischer und indigener Musik gelegt, welche die lateinamerikanische Musik der folgenden Jahrhunderte prägen sollte.

In unserem Programm TONADAS steht ebendiese Beziehung im Mittelpunkt. Wenngleich die Entstehung der Werke teilweise über 250 Jahre auseinanderliegt, zeugen alle von einem Zusammenkommen beider Kulturen. Die anonym verfasste Sonata Chiquitana sowie die zwei Stücke aus dem Codex Martínez Compañón sind Werke, die in verschiedenen Missionen im Peruanischen Vizekönigreich entstanden sind, das einen Großteil des südamerikanischen Kontinents umfasste. Während die Sonata Chiquitana deutlich europäischen Traditionen folgt, sind die Stücke aus dem Codex Martínez Compañón viel stärker von der einheimischen Musik geprägt.

Während Heitor Villa-Lobos im Paris der 1920er-Jahre für seine neuartigen Klänge gefeiert wurde und dort den Respekt von Komponisten wie Maurice Ravel und Sergej Prokofjew gewann, stieß er einen bedeutenden Teil seines Lebens auf großen Widerstand in seiner brasilianischen Heimat. Das deutlich „Brasilianische“ an Villa-Lobos’ Musik ist sofort herauszuhören, allerdings nicht, weil sie an bestimmte Landestänze zu erinnern sucht, sondern weil sich ein kennzeichnender Klang durch sein gesamtes Werk zieht. So synthetisiert seine Musik von kolonial-afrikanischen Klängen aus seiner Heimat über Bach bis Strawinsky alles zu einer gänzlich neuen Identität, womit sich das brasilianische Publikum zunächst nicht anfreunden konnte. Das Quinteto Instrumental für Flöte, Streichtrio und Harfe* ist ein perfektes Beispiel dafür, wie Villa-Lobos ein Ensemble, welches stark an französische Musik erinnert, in einen eigenen Kontext bringt. Ironischerweise sollte ebendieser neue Klang in späteren Jahren den kennzeichnenden Klang Brasiliens prägen – in einer Zeit, in der Brasilien noch keine musikalische Identität besaß.

Die Antara ist eine peruanische Gattung der Panflöte und Namensgeberin des Werks für doppeltes Streichquartett und Kontrabass des peruanischen Komponisten Celso Garrido-Lecca. Fünf Jahrzehnte später schreibt sein Landsmann Daniel Cueto Las Antaras de Celso („Die Antaras von Celso“) als eine Hommage auf eines der „bemerkenswertesten Werke der modernen lateinamerikanischen Musik“, wie der Komponist schreibt. Das Stück für Solo-Kontrabass basiert auf zwei Motiven aus Garrido-Leccas Musik, welche Cueto geprägt haben. Das Stück stellt in einer Art Meditation einen Kontrast zwischen dem bekannten tiefen Bassklang und Flageolett-Tönen her, welche auf dem Kontrabass tatsächlich stark an die Panflöten der Anden erinnern.

Anders als man annehmen würde, wurden Astor Piazzollas Cuatro Estaciones Porteñas („Die vier Jahreszeiten von Buenos Aires“) ursprünglich als voneinander unabhängige Stücke für sein Tango-Quintett komponiert. Die Idee einer Suite im Sinne von Vivaldis Vier Jahreszeiten entstand als eine Marketing-Option für den Schallplattenmarkt. Piazzolla aber begrüßte die Idee und führte die Stücke in den kommenden Jahren mehrmals als komplettes Werk auf. Seine eigentliche Beziehung zur europäischen Konzertmusik war jedoch eine wesentlich tiefere. In New York groß geworden, hatte er bald seine Begeisterung für Jazz und Tango entdeckt. Er erhielt hier aber ebenfalls eine fundierte Bildung in klassischer Komposition. Sein Tango, in dem diese verschiedenen Stile einfließen, wurde in Argentinien zunächst als „unrein“ empfunden, jedoch war es eine Frage der Zeit, bis sein Erfolg in Nordamerika und Europa auch die nachfolgenden argentinischen Generationen begeisterte.

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Mario Alarcón Cid / Violoncello
Mitglied im Programmausschuss

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